Nebenwirkungen einer Aufstellung

 Effekte bei Stellvertretern und Zuschauern

Familienaufstellungen und andere Formen der Aufstellungsarbeit werden für eine Person mit einem Anliegen durchgeführt. Das Ziel ist es, eine Klärung und auch eine Entlastung im seelischen Bereich zu erfahren. In einer Aufstellung stellen sich Stellvertreter zur Verfügung und wirken über ihre stellvertretende Wahrnehmung an der Einsicht oder der Lösung mit.

Nun ergibt sich eine auf den ersten Blick etwas merkwürdige Situation: Ein Stellvertreter in einer Aufstellung wird gewissermaßen „in Dienst genommen“ zum Nutzen einer anderen Person. Aber der Stellvertreter wird dafür nicht bezahlt. Im Gegenteil: Stellvertreter oder auch nur Zuschauer einer Aufstellung zahlen selber auch dafür einen, meist kleineren, Beitrag. Was haben also Teilnehmer einer Aufstellungsveranstaltung davon, wenn es nicht um ein eigenes Anliegen geht?

Die allgemeine Antwort auf diese Frage wäre: Als Beobachter oder Stellvertreter einer Aufstellung werde auch ich von einer seelischen Bewegung erfasst. Wenn das seelische Thema der Aufstellung auch – zumindest zum Teil – mein Thema ist, arbeitet auch in meiner Seele etwas. Aber selbst wenn dies nicht so ist, bleibt oft eine sehr lebendige und eindrückliche Erfahrung. Mitunter auch das Gefühl, an etwas Großem teilgehabt zu haben.

Wenn man es etwas genau betrachtet, gibt es verschiedene Arten von Wirkungen bei Stellvertretern und Beobachtern:

  • Verstehen:
    Manchmal wirkt eine Aufstellung für (teilnehmende) Beobachter vor allem so, dass sich ein Verständnis für seelische Kräfte und Wirkungen einstellt, dass rein intellektuell schwer zu gewinnen wäre.
    Beispiel: In manchen Aufstellungen spielt das Herkunftsland oder Heimatland eine wichtige Rolle. Es kann sein, dass es für einen Menschen, der aus seiner Heimat vertrieben wurde oder ausgewandert ist, sich als wichtig erweist, den Segen des Herkunftslandes zu erhalten[1]. In einer Aufstellung wirkt ein Land oft wie eine sehr, sehr große Mutter. Und die schaut auf ihre Töchter und Söhne. Und manchmal trauert sie auch um die verlorenen Töchter und Söhne, die in die Fremde gegangen sind.
    Wer es einmal in einer Aufstellung erlebt hat, welche Wirkung die Herkunft in der Seele haben kann (nicht muss!), hat danach ein anderes Verständnis für und einen anderen Blick auf etwa die Wichtigkeit, die manche Symbole der Verbundenheit mit der Herkunft für Menschen haben können, die ansonsten nur irrational erscheinen.
    Blindtext
  • Bewegt-Sein:
    Manche Aufstellungen sind sehr bewegend. Es geht einem sozusagen „das Herz auf“. Viele Aufstellungen haben etwas damit zu tun, dass wieder eine ursprüngliche Liebe ins Fließen kommt, die vorher blockiert war. Dies mitzuerleben ist auch für Unbeteiligte ein besonderes Erleben – und es lässt einen auch als Beobachter nicht unberührt und unverändert zurück.
    Blindtext
  • Das eigene Thema wird „mitbehandelt“
    Mitunter kommt es auch vor, dass eine Person als Stellvertreter (oder auch nur Zuschauer) sozusagen „versehentlich mitbehandelt“ wird.
    Auch dazu ein Beispiel: Eine Frau nahm an einer Aufstellungsveranstaltung teil. Bei einer Aufstellung, an der sie nicht einmal als Stellvertreterin beteiligt war, ging es für eine Protagonistin in der Aufstellung um eine unterbrochene Hinbewegung zur Mutter. Die unbeteiligte Beobachterin berichtete einige Tage später:
    „In der Nacht nach der Aufstellung hatte ich einen Klartraum. Ich träumte – und ich wusste im Traum, dass ich träume – dass ich genau die in der Aufstellung erfolgte ursprüngliche Hinbewegung zu meiner Mutter vollzog. Und als ich aufwachte und an meine Mutter dachte, was das zum ersten mal ein unbelastetes Gefühl. Ich war einfach nur dankbar für mein Leben. In mehreren Psychotherapien zu diesem Thema habe ich nicht an diesen Punkt gelangen können. Und ich denke, jetzt ist es endlich wirklich gelöst.“
    In wie weit dieses, durchaus euphorische Gefühl anhält und von Dauer sein mag, ist natürlich offen. Es zeigt aber, dass auch Beobachter mitunter mit den Themen einer Aufstellung in Resonanz gehen, wenn die Seele sich im Thema angesprochen fühlt.

Bert Hellinger hat einmal beschrieben, wie er in einer Aufstellung zur Lösung kommt. Und die Aussage lautet sinngemäß: Ich setzte mit dem Geschehen in der Aufstellung vollständig aus. Ohne Erwartung und ohne Einwand. Und dann warte ich, bis mich aus der Tiefe ein Satz erreicht. Und wenn das geschieht, dann ist der Satz für Alle.

Einschließlich der Aufstellungsleiterin oder des Aufstellungsleiters, möchte man hinzufügen.

[1] Es soll hier ausdrücklich betont werden, dass ein Land etwas anderes ist als ein Staat. Die Loyalität in der Seele geht immer zum Land, aus dem man stammt und in dessen Erde die Vorfahren begraben sind. Das hat mit Staaten oder Politik oder Gesellschaftsformen zunächst einmal wenig bis gar nichts zu tun.