Das wissende Feld – Teil 3

Im ersten Teil ging es um die stellvertretende Wahrnehmung im "wissenden Feld", im zweiten Teil um den Teil "Feld" im wissenden Feld. Im dritten und abschließenden Teil des Artikels wird es um das "Wissen" im wissenden Feld gehen.

Das „Wissen“ im wissenden Feld

Nehmen wir also einmal an, es gäbe eine Art von Feld, das irgendwie – auf eine im Detail noch nicht geklärte Weise – Informationen über seelische Dynamiken bereit stellt. Welcher Art sind diese Informationen? Hier wäre zunächst zu unterscheiden zwischen den unmittelbaren Wahrnehmungen der Stellvertreter und dem, worauf diese Wahrnehmungen deuten und verweisen.

Die unmittelbaren und spontanen Wahrnehmungen der Stellvertreter sind meistens von einer der folgenden Qualitäten:

  • Eine Körperempfindung (z.B. „Mir ist ganz kalt an der rechten Schulter“)
  • Eine Empfindung über das Sein einer Person (z.B. „Ich fühle mich hier schwach und nicht wirklich im Leben“)
  • Eine Orientierung bezüglich der Wahrnehmung (z.B. „Meinen Blick zieht es zu dem Fenster hier und zu dem Baum dort draußen“ oder „Ich sehe nur Ihn“ mit Bezug auf einen anderen Stellvertreter im Feld)
  • Ein Handlungsimpuls (z.B. „Ich möchte auf Sie zugehen“ mit Bezug auf eine andere Stellvertreterin)
  • Die Wahrnehmung einer Emotion (z.B. „Ich fühle eine große Trauer“)

So unterschiedlich dies auch sein mag, am Anfang einer Aufstellung ist es oft unklar, was die einzelnen Wahrnehmung der Stellvertreter bedeuten mögen. Dies wird meist erst im Fortschreiten der Aufstellung offenbar.

So kann etwa in einer Aufstellung eine Stellvertreterin für eine Frau, als erstes auf die Frage „Wie geht es dir?“ sagen: „Ich möchte mich verhüllen. Ich möchte nicht gesehen werden. Besonders von Männern nicht gesehen werden“ und deutet dabei auf einen anderen Stellvertreter in der Aufstellung. Gleichzeitig schaut sie auf einen bestimmten anderen Punkt im Raum, wo niemand steht. Angeregt durch Informationen im Vorgespräch zur Aufstellung stellt die Aufstellungsleiterin die Großtante, zunächst einmal probeweise, in die Aufstellung an genau diese Stelle. Sofort verändert sich die ganze Atmosphäre in der Aufstellung. Die Großtante was als junge Frau von ihrer Familie gezwungen wurde, in ein Kloster einzutreten und sie blieb somit ohne Beziehung zu einem Mann und kinderlos. Und das zentrale Thema der Aufstellung verdichtete sich letztlich in dem Satz der Anliegengeberin zu ihrer Großtante, die unfreiwillig im Kloster war: „Im Andenken an dein Schicksal und dir zu Ehren bleibe ich auch unverheiratet und kinderlos“.

Hier führt also die anfängliche Empfindung „ich möchte mich verhüllen“, gegen männliche Blicke verhüllen, zu dem eigentlichen Thema hin, ohne dass es am Anfang direkt klar ist, was das Thema ist, um das es geht.

Die Inhalte im wissenden Feld starten also zunächst einmal mit Eindrücken oder Empfindungen der Stellvertreter. Und das dahinter liegende Thema, auf das diese stellvertretenden Wahrnehmungen verweisen und das sich oft als Bild erst zeigt, wenn man die einzelnen stellvertretenden Wahrnehmungen wie Steine in einem Mosaik auffasst, hat zumindest im Bereich der Familienaufstellungen meist mit einem der folgenden drei Gegebenheiten zu tun:

1. Ausschluss aus dem System
Menschen, die zum Familiensystem gehören, wurden ausgeschlossen, im System behandelt wie nicht existent[1]. Und die Systemdynamik in Familiensystem drängt darauf, die Ausgeschlossenen wieder sichtbar zu machen.

2. Gestörte Ordnung im System
Wenn kleine Kinder einem Elternteil gegenüber in eine Erwachsenenrolle geraten, z.B. als Partnerersatz oder wenn bei Erbfragen etwa Kinder aus einer früheren Familie gegenüber den Kindern einer späteren Familie benachteiligt werden, dann liegt eine Störung der Ordnung im System vor und das Familiensystem versucht mit allerlei Symptomatiken auf diese Störung aufmerksam zu machen.

3. Nicht erfolgter Austausch und Ausgleich im System
Wenn Teile eines Familiensystems z.B. etwas besonderes leisten für das System, ohne dass diese besondere Leistung geachtet würde, dafür gedankt würde oder mit kleinen „Privilegien“ im System belohnt würde, dann liegt eine Störung im Gleichgewicht von Geben und Nehmen vor.

Das Wissen im wissenden Feld verweist oft auf Tatbestände, die über die autonomen Handlungsfelder des einzelnen Individuums hinausgehen. Es nimmt oft Verstrickungen, Identifizierungen, unbewusste Nachfolge in den Blick – um so etwas im System, also z.B. dem System der Herkunftsfamilie, zu heilen. Gemeint sind hiermit Phänomene, dass Nachgeborene im Verhalten oder im Schicksal unbewusst früheren Mitgliedern der Familie nachfolgen, ohne um diese Vorfahren und ihr Leben überhaupt zu wissen. Wenn etwa ein Nachfahre suizidale Tendenzen aufweist, die aus der eigenen Biografie nicht recht erklärbar sind, und er hierin einem Vorfahren nachfolgt, der sich umgebracht hat, dieses Ereignis aber in der Familie nie erwähnt wurde.

Das Wissen im Feld verweist auf die Dinge, wo uns das Leben „in den Dienst“ nimmt (wie es Bert Hellinger oft genannt hat) für etwas, was weit über die eigene Individualität und über das eigene Bewusstsein hinaus geht.
Und das macht uns natürlich erst einmal scheu. Wollen wir das? Wollen wir uns als „in den Dienst genommen“ erleben? Und: Wo bleibt denn da die Freiheit? Es gibt einen guten Grund dafür, dass Menschen sich dem, was in Aufstellungen geschieht, oft nur vorsichtig nähern.

Aber: Es gibt hier auch eine gute Nachricht. Dies „in den Dienst genommen“ werden ist keine Fronarbeit. Genau genommen ist es meist gar keine Arbeit. Es muss oft gar nichts Besonderes getan werden. Meist reicht es, zu wissen: So ist es. Oder: So war es. Da kommt es her. Damit bin ich verbunden. In dieser Einflusssphäre stehe ich. Wenn dieses Wissen nicht als intellektueller Inhalt im Kopf bleibt, sondern „zu Herzen genommen“ wird, ist dies meist der lösende Schritt im inneren Vollzug. Wenn es mehr zu einem Lebensgefühl denn einem rationalen Argument der Welterklärung wird. Erkennen, was ist und Anerkennen, was ist. Und innerlich „Ja!“ sagen zu dem, was ist. Mehr will das wissende Feld meist nicht von uns – wenn man überhaupt so reden darf, dass das wissende Feld etwas wolle, so als sei es eine Person.

Was man immer wieder beobachten kann: Das Anerkennen dessen, was ist, fühlt sich leicht an. Die Bürde, die mit dem Leben auch verbunden sein mag, wird leichter, nicht schwerer. Und der Mensch ist in aller Regel mehr „in seiner Kraft“. Er gewinnt ein Mehr an Spielraum für eigenständiges Handeln, wenn das Vergangene gesehen und gewürdigt wird. Es braucht dann das Vergangene nicht mehr blind und unbewusst wiederholt zu werden. Dieses "Mehr" an Freiheit ist zwar keine absolute Freiheit, wo gibt es die schon? Aber ist ist – immerhin – ein Zugewinn an Freiheit.

Die Grenzen des wissenden Feldes

Ist „das Feld“ allwissend? Das ist eigentlich eine sinnlose Frage. Es gibt aber manchmal – in der Anfangseuphorie – die Bestrebung, alles Mögliche aufzustellen. In der Hoffnung, hier etwas zu erfahren, was mit sonst so nicht zugänglich ist als Information. Und manchmal mit der heimlichen Hoffnung, das Feld möge mir mit seiner Antwort die Ver-Antwortung für eigenes Handeln und eigene Entscheidungen abnehmen. Und das wird eher nicht „funktionieren“. Um einmal akzentuierend einige absurde Anliegen für Aufstellungen zu skizzieren:

  • Kann ich die Lottozahlen für das nächste Wochenende aufstellen?
  • Wenn ich mich nicht entscheiden kann, wohin ich dieses Jahr in den Urlaub fahren will – kann ich das aufstellen?
  • Ich werde öfter bestohlen und habe jemand Bestimmten in Verdacht – kann ich das aufstellen, ob mein Verdacht wirklich stimmt?
  • Kann ich durch eine Aufstellung bewirken, dass beruflicher Erfolg (oder Geld, oder der „Traumpartner“ oder was auch immer) zu mir kommt?
  • Kann ich mein Verhältnis zu meinem Ex-Partner aufstellen, um zu zeigen, dass er Schuld ist an der Trennung und an meinen nachfolgenden Problemen?

Das ist es alles etwas überspitzt und bewusst absurd formuliert als Anliegen und wird natürlich nicht exakt so vorgetragen als Anliegen – wiewohl es manchmal in eine ähnliche Richtung geht. Aber ich möchte daran einige Aspekte des wissenden Feldes verdeutlichen.

Zum Lottogewinn: Erstens ist das Aufstellen im wissenden Feld kein Wahrsagen und keine Hellsichtigkeit. Aber wichtiger ist: Es geht bei den Informationen aus dem wissenden Feld (vermittelt über stellvertretende Wahrnehmung) um die Bewegungen der Seele. Der Seele der Person mit dem Anliegen. Und dabei darum, etwas zu sich zu nehmen, was zu mir gehört. Und somit „heiler“ im Sinne von vollständiger, „ganzer“ zu werden. Und der Lottogewinn gehört sicherlich nicht zu einer vollständigeren Seele. Eher im Gegenteil, er kann einen eher davon abhalten. Auf solche Fragen erhält man im Feld schlicht keine Antworten und man sollte das auch gar nicht erst versuchen.
Die Frage, die man sinnvoll an das Feld stellen könnte, wäre eher: Warum hakt es mit dem Erfolg – im weitesten Sinne – in meinem Leben? Das wäre eine zielführende Frage für eine Aufstellung.

Zur Urlaubsentscheidung: Der Versuch, eine Aufstellung für die „kleineren“ Anforderungen und Entscheidungssituationen im Leben zu instrumentalisieren, mit der Intention, die Entscheidung nicht selber treffen zu müssen, sie also an das Feld oder die Stellvertreter zu delegieren, ist aus meiner Sicht der versuchte Missbrauch der Methode. Auch hier wird sich das Feld – was immer das sein mag – verweigern. Anliegen für eine Aufstellung sollten schon ein gewisses „seelisches Gewicht“ haben, es sollte eine persönliche Dringlichkeit damit verbunden sein. Eine empfundene Not-Wendigkeit, also eine seelisch Not, die gewendet werden soll.
Sehr wohl aber könnte man hier z.B. die Frage aufstellen, warum habe ich generell Schwierigkeiten mit zu entscheiden? Wenn dies tatsächlich der Fall wäre. Und wenn dies eine bedeutsame Einschränkung der Lebensvollzüge der Person darstellen würde.[2]

Zur Diebstahlssituation mit Verdacht auf einen konkreten Täter: Ich denke grundsätzlich nicht, dass man mit Aufstellungen forensische Anliegen behandeln kann oder dies versuchen sollte. Dafür gibt es andere gesellschaftliche Instanzen, die dafür zuständig sind und die als solche auch gewürdigt gehören. Viel schlimmer ist aber aus meiner Sicht, dass dies der Versuch einer unzulässigen Einwirkung in das seelische Geschehen einer anderen Person (hier: des Verdächtigen) ist, aus einer egozentrischen Motivation heraus. Und: Es ist letztlich auch der Versuch, sich aus der unangenehmen Verantwortung zu stehlen, die verdächtigte Person mit dem Verdacht und den Hinweisen für den Verdacht (so es sie denn gibt) zu konfrontieren und bei noch deutlicherem Tatverdacht eben einfach Anzeige zu erstatten. Ich habe es noch nie erlebt, dass das Feld den Versuch unterstützten würde, sich aus der eigenen Verantwortung herauszustehlen. Eher im Gegenteil: Die Informationen aus dem Feld akzentuieren eher die Eigenverantwortung, stellen aber auch die entsprechende inneren Kraft zur Verfügung, diese Verantwortung zu tragen. Das ist der Entwicklungsweg, der andere Weg führt in die Irre.

Zum Anziehen von erwünschten Lebensumständen: Eine Aufstellung ist kein magisches Ritual, das mir erwünschte Lebensumstände heraufbeschwört. Gesetzt den Fall, so etwas ginge, wäre es eher ein Pakt mit dem Teufel, den man ja, wie wir seit Dr. Faust wissen, mit der Seele bezahlt. So zumindest erzählen es die mythologischen Geschichten.[3]
Auch hier wäre, wie schon im Beispiel mit dem Lottogewinn, die Frage zu transformieren. Und oft steht hinter solchen Anliegen die Frage: Kann ich mein Leben vollständig nehmen? So wie es ist, mit allem, was es mich und andere kostet und gekostet hat? Und wenn wir die Frage so stellen, landen wir meist direkt beim Kernthema der klassischen Familienaufstellung, dem Nehmen des Lebens von den Eltern, so wie sie waren. (Und nicht so, wie ich sie gerne gehabt hätte). In diesem Sinne gewendet: Ja, das wäre dann ein sinnvolles Thema für eine Aufstellung. Aber in der Ausgangsform? Eher nicht!

Zum schuldigen Ex-Partner: Generell ist höchste Vorsicht geboten, wenn ein Anliegen formuliert wird, bei dem eine bestimmte Sicht, ein Vor-Urteil der Person, bestätigt werden soll.
Tatsächlich wäre eine sinnvolle Frage für eine Aufstellung eher: Wie genau bin ich mit meinem Ex-Partner seelisch noch verbunden? Und was bin ich ihm oder er mir noch schuldig? Und nebenbei: Wenn ich meinem Ex-Partner innerlich noch etwas nachtrage, dann bin ich mit Sicherheit noch mit ihm seelisch verbunden. Und welche Rechnungen hier in der Seele noch offen sind und wie sie beglichen werden können, das kann tatsächlich durch eine Aufstellung geklärt werden. Aber: Die Bilanz kann sich als ganz anders gelagert herausstellen, als vermutet. Zu einem solchen Anliegen kann man als Aufstellungsleiter also nur sagen: Wir können uns das anschauen. Aber: Be prepared to be surprised! Ohne diese Bereitschaft, sich überraschen zu lassen, sollte man eine Aufstellung nicht durchführen.

Ein Fazit?

Wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wir sagen: Wir wissen nicht wirklich, was genau das wissende Feld ist und warum es sich durch die stellvertretende Wahrnehmung mitteilen kann.

Wir können aber trotzdem damit arbeiten, weil wir inzwischen über einiges an Erfahrungswerten verfügen, welche Art von Anliegen hier sinnvoll gestellt werden können und welchen Rahmen es braucht, damit die stellvertretende Wahrnehmung im wissenden Feld wirken kann.

Und diese Wirkung ist das Kriterium. Bin ich nach einer Aufstellung vollständiger in meiner Seele? Bin ich mehr in meiner Kraft? Und das kann man – meist – unmittelbar wahrnehmen.

Fußnoten:

[1] In diesem Zusammenhang ist der Ausdruck „totschweigen“ sehr beredt, wenn man dem sprachlich einmal wirklich „nachschmeckt“.
[2] Nebenbei bemerkt: Wenn es darum geht, die eigene unbewusste Einstellung zu einer Entscheidung deutlich werden zu lassen im Vergleich zu dem, was mein Verstand darüber denkt, dann gibt es dafür andere und einfach Methoden wie z.B. den Muskeltest.
[3]Eine andere Variante dieses Themas findet sich in der Harry Potter Saga von J.K. Rowling. Tom Riddle, der spätere Lord Voldemort, spaltet hier insgesamt sieben mal einen Teil seiner Seele ab im Tauschgeschäft für einen Zugewinn an (schwarzmagischer) Macht. Wer die Saga kennt, weiß, wie attraktiv das resultierende Seelenleben des dunklen Lords sich dann gestaltete.

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