„Einmal im Leben“ – oder: Wie oft aufstellen?

Sind nach einer Familienaufstellung alle Probleme im Leben gelöst?

Im Familienstellen ist eine zentrale Annahme, dass viele seelische und auch körperliche Leiden entstehen, weil wir in der Seele „verstrickt“ oder „identifiziert“ sind mit schweren Schicksalen in unserer Herkunftsfamilie. Oder auch, dass wir das Leben nicht richtig „nehmen“ können, wenn wir diejenigen, von denen wir es erhalten haben – unsere Eltern und deren familiäre Wurzeln – innerlich ablehnen.

Wie auch immer das im Einzelfall sei, es gab insbesondere in der Anfangszeit des Familienstellens die Vorstellung: Wenn diese Prozesse einmal „am Licht sind“ (wie es Bert Hellinger oft formuliert hat), dann ist auch die Lösung offensichtlich.
Bei einer Verstrickung mit einem schweren Schicksal aus meiner Herkunftsfamilie ist die Lösung vielleicht, in einer Aufstellung dieser Person (ihrem Stellvertreter) zu sagen: „Ich achte dein schweres Schicksal“. Oder auch: „Ich gebe dir die Ehre“. Oder wenn ein Elternteil abgelehnt wird, diesem dann zu sagen: „Ich verdanke dir mein Leben. Ich nehme es jetzt mit allem, was an Kosten und Belastungen dazu gehört – und mache etwas daraus“.

Damit wird der Protagonist einer Aufstellung frei für das eigene Leben. Er oder sie muss nicht mehr wie unter Zwang ein fremdes Schicksal wiederholen oder sich in seinem Lebensvollzug unnötig einschränken.

Nehmen wir den Fall eines Mannes, der eine Aufstellung seiner Herkunftsfamilie macht, weil er schon seit langer Zeit immer wieder mit Depressivität, Lebensunlust und auch Suizidgedanken zu tun hat. In der Aufstellung zeigt sich: Er steht in enger innerer Verbindung mit einem Onkel, einem Bruder seines Vaters. Dieser Onkel hat sich umgebracht, während er zu Besuch war. Der damals 7-jährige Protagonist war derjenige, der den Onkel nach dem Suizid in seinem Elternhaus tot aufgefunden hat.
Die Lösung war, dass der Mann in der Aufstellung zu seinem Onkel sagt: „Ich achte dein schweres Schicksal.“ Und: „Wenn ich mein Leben jetzt vollständig lebe und genieße, dann tue ich dies auch ein wenig dir zu Ehren! Und in deinem Angedenken“.

Vergleicht man dies mit dem Vorgehen in psychotherapeutischen Behandlungen, die sich auch bei kurzzeittherapeutischen Ansätzen vielleicht über 10 Sitzungen erstrecken und in anderen therapeutischen Ansätzen auch über Jahre andauern können, ist dies faszinierend. Es bedeutet, dass eine einzige Intervention ausreicht, um ein vielleicht schon jahre- oder jahrzentelang bestehendes Problem dauerhaft zu lösen[1].

Voraussetzung einer solchen heilsamen Wirkung einer einzelnen Intervention ist natürlich, dass der Klient in der Aufstellung den „inneren Vollzug“ der Lösung wirklich leistet. Was nicht ganz einfach ist. Weil es sein kann, dass sich zwar die Lösung zwar besser und freier anfühlt, aber auch sehr ungewohnt ist. Außerdem geht mit einer Lösung aus einer Verstrickung auch ein anderes Maß an persönlicher Verantwortung einher.

Jedenfalls gibt es im Familienstellen die (manchmal ausdrückliche, manchmal unterschwellige) Annahme, dass eine Intervention reicht, um ein seelisches Anliegen oder Leiden zu lösen. Die Annahme ist nicht, dass damit alle Probleme des betreffenden Menschen gelöst sind und dieser Mensch in einen Zustand andauernder Glückseligkeit verfällt ab diesem Moment[2]. Die Annahme ist aber, dass die aus der Verstrickung gelöste Seele dann in der Lage ist, die Probleme des Lebensvollzuges anzugehen und auf eine „erwachsene“ Art zu bewältigen. Was durchaus Arbeit bedeutet, mitunter jahrelange Arbeit.
Kurz gesagt: Die Aufstellung bewirkt eine andere innere Haltung beim Klienten. Und dieses innere Haltung macht ihm, dem Klienten, die produktive Lebensbewältigung mit allen Problemen, die dazu gehören, dann möglich. Wie er das im Einzelnen macht, liegt in der persönlichen Verantwortung des Klienten.

Es gibt im Familienstellen sogar die Annahme, dass es einer weiteren beratenden oder therapeutischen Begleitung nach der Aufstellung nicht bedarf. Noch zugespitzter: Eine „Nachbetreuung“ des Klienten ist nicht nur nicht nötig, sondern auch schädlich und verbietet sich somit. Weil der Therapeut / Aufstellungsleiter sich damit etwas anmaßt, was ihm nicht zukommt. Er möchte seinen „therapeutischen Erfolg“ gesichert sehen – was ein durchaus egoistisches, ego-getriebenes Motiv wäre – zu Lasten der Autonomie und damit der Würde des Klienten.

Im Extrem mag diese Einstellung etwas „puristisch“ sein. Im Einzelfall kann aus meiner Sicht eine nachfolgende beratende oder therapeutische Begleitung sinnvoll sein. Jedoch sollte jeder Berater und jeder Therapeut sich zurück ziehen, wenn der Eindruck entsteht, der Klient sucht nach einer begleitenden Unterstützung um den eigenen Vollzug einer einmal gewonnenen Lösung zu vermeiden. In diesem Fall würde eine intensive Nachbetreuung tatsächlich mehr Schaden als Nutzen anrichten und den Nutzen der Aufstellung im Nachhinein beschädigen.

Mehrfach Aufstellen – Indikatoren und Kontraindikatoren

Kehren wir zurück zur Frage: Wie sinnvoll ist es, als Klient etliche Aufstellungen zu machen? Nun, jeder Mensch hat seelisch und psychologisch „Baustellen“. Ich spreche hier bewusst in der Mehrzahl. Es kann z.B. sein, dass

  • es eine seelische Verstrickung in der Herkunftsfamilie gibt und daneben noch seelische Themen, die mit der Gegenwartsfamilie, also der Partnerschaft und dem Verhältnis zu den eigenen Kindern zu tun hat
  • es in der Herkunftsfamilie Belastungen und Gefährdungen für die seelische Gesundheit gibt, die einmal aus der mütterlichen Linie und einmal aus der väterlichen Linie herrühren und unterschiedlich gelagert sind
  • es „Baustellen“ in unterschiedlichen Lebensbereichen wie Arbeit, Partnerschaft, Gesundheit gibt, die nicht direkt miteinander verbunden sind in dem Sinne, dass sie Ausfluss derselben Verhaltenstendenz oder desselben Persönlichkeitsmuster sind

In solchen Fällen kann es sehr sinnvoll sein, diese in getrennten Aufstellungen auf ihre verborgene seelische Dynamik hin zu beleuchten. Allerdings ist es in den meisten Fällen ebenso sinnvoll, zwischen den Aufstellungen einige Zeit verstreichen zu lassen, vielleicht einige Monate oder ein Jahr. So dass sich die Lösung aus der einen Aufstellung überhaupt erst entfalten kann im persönlichen Lebensvollzug, bevor das nächste Thema in Angriff genommen wird.

Es kann auch sein, dass sich im Lebensverlauf unterschiedliche Themen sozusagen „einstellen“. Ein Mensch hat vielleicht irgendwann ein Thema in einer Aufstellung angeschaut und gelöst, zum Beispiel eine ursprüngliche „unterbrochene Hinbewegung“ zur Mutter. Es ergibt sich, als ein Resultat, nach einiger Zeit eine erfüllende Partnerschaft, die vorher so nicht möglich gewesen wäre. Und jetzt, in dieser stabilen Partnerschaft, entsteht die Situation, dass die Partnerschaft trotz beiderseitigem Kinderwunsch kinderlos bleibt. Das ist ein neues seelisches Problem von erheblicher Tragweite – dass aber ohne die Lösung der unterbrochenen Hinbewegung zur Mutter und der dadurch bedingten Partnerlosigkeit gar nicht erst entstanden wäre. Hier spricht natürlich überhaupt nichts dagegen, dass biografisch später entstandene Problem in einer neuen Aufstellung zu beleuchten.

Vorsicht geboten ist allerdings, wenn ein Klient zeitnah schon andere Aufstellungen gemacht hat und jetzt aufstellen möchte, weil

  • die sich zeigende Lösung in der vorherigen Aufstellung nicht den Wünschen oder Erwartungen entsprach
  • weil es die in einer vorherigen Aufstellung sich zeigende Lösung dem Klienten zu schwierig im Vollzug erscheint und er oder sie sich eine einfachere Lösung erhofft
  • das immer wieder neu Aufstellen dazu dienen soll, die eigentlich gebotene Lösung zu vermeiden

Aber auch hier kommt es sehr auf die genauen Umstände des Einzelfalls an. Eine zeitnahe Wiederholung einer Aufstellung auch mit exakt demselben Thema kann im Einzelfall trotzdem angezeigt sein. Etwa, wenn sich in der Zwischenzeit neue Informationen über schicksalshafte Ereignisse in der Herkunftsfamilie ergeben haben. So etwas wird ja oft lange im Familiensystem als Geheimnis gehütet.
Oder auch, wenn eine frühere Aufstellung ergebnislos abgebrochen wurde. Auch eine „gescheiterte“ Aufstellung wirkt in der Seele – und kann bewirken, dass jemand jetzt bereit ist für eine Lösung, für die er vorgestern oder vor zwei Monaten noch nicht bereit war.

 

[1] Das wäre schon allein gesundheitsökonomisch bemerkenswert, wenn man an die Kosten denkt, die psychotherapeutische Behandlungen im Gesundheitssystem produzieren.

[2] Solche Versprechungen überlassen wir innerhalb der Psychoszene gerne den „Erfolgstrainern“, Erweckungspredigern und religiösen Gurus.