Bei Familienaufstellungen (und auch bei anderen Formen der Aufstellungsarbeit, die sich nicht im engeren Sinne nur auf Familien beziehen) werden bislang verborgene seelische Dynamiken deutlich – mit dem Ziel, einer seelische Problemlage oder auch einem körperlichen Symptom Erleichterung zu verschaffen. Man benutzt dazu Stellvertreter für die realen Personen in der Familie und zunächst auch für den realen Klienten. Und man arbeitet mit den Empfindungen und Impulsen, welche die Stellvertreter mitteilen und welche sie aus einem Raum erhalten, der erst durch die Aufstellung entsteht und den wir im Rahmen der Aufstellungsarbeit das „wissende Feld“ nennen. (Mehr dazu hier und hier und hier.)
Das klassische Familienstellen
In den Familienaufstellungen haben sich dabei bestimmte Regelmäßigkeiten immer wieder gezeigt, die dann aus der Erfahrung heraus „kodifiziert“ wurden. Es zeigt sich, dass die ursprüngliche Liebe und die volle Kraft des Lebens nur dann fließen kann, wenn diese Regeln im Familiensystem geachtet und in der inneren Wahrnehmung nicht verletzt wurden. Die Basisregeln sind:
- Zugehörigkeit:
In einem Familiensystem gehört jedes Mitglied der Familie dazu und hat ein Recht auf Zugehörigkeit und Würdigung der Rolle, die sie als Mitglied spielt. - Rangfolge:
Innerhalb der Zugehörigkeit gibt es eine Rangfolge, deren wichtigste Regel ist: Das Frühere steht in der Rangfolge vor dem Späteren. - Austausch:
Innerhalb der Struktur von Zugehörigkeit und Rangfolge ergibt sich ein Austausch von Geben und Nehmen. Jeder Akt des Nehmens erzeugt eine empfundene Verpflichtung, in ähnlicher Größenordnung zurückzugeben.
Aus diesen Grundregeln ergibt sich dann eine Ordnung im Familiensystem, die mit einem populären Buchttitel als „Ordnungen der Liebe“ bezeichnet werden. Und im klassischen Familienstellen geht es darum, durch die Aufstellung sichtbar zu machen, wo und wie genau im konkreten Fall diese Ordnungen verletzt wurden und dann durch eine neue Anordnung der Stellvertreter in einem „Lösungsbild“ diese Ordnungen wieder herzustellen, so dass die Liebe und die Lebenskraft wieder ungehindert fließen kann.
Das Vorgehen beim klassischen Familienstellen
Beim klassischen Familienstellen wird zunächst erfragt, wer alles zum Familiensystem dazu gehört. Dies sind in erster Linie natürlich die Eltern und die Kinder/Geschwister inklusive aller Halbgeschwister, neue Partnerschaften und Ehen usw. Und Mitglieder der Herkunftsfamilien der Eltern, soweit sie für die Probleme oder Symptome eine besondere Rolle spielen, also vielleicht ein ähnliches Schicksal hatten oder überhaupt schwere, schicksalshafte Ereignisse mit Ihnen verbunden sind.
Dann stellt der Protagonist oder die Protagonistin (die Person mit dem Anliegen an die Aufstellung) die Stellvertreter im Raum auf. Die Aufstellung erfolgt nach dem empfundenen inneren Bild, wie die Teile des Familiensystems zueinander stehen. Oft stellt sich die Person mit dem Anliegen hinter die Stellvertreter, legt den Stellvertretern die Hände auf den Rücken und „lotst“ so die Stellvertreter – oft mit geschlossenen Augen – an eine bestimmte Stelle im Raum. Wenn alle Stellvertreter so in der Anfangsaufstellung platziert sind, setzt sich die Person mit dem Anliegen wieder und schaut zunächst zu, wie sich die Aufstellung entwickelt. (Später wird der Stellvertreter dann gegen die reale Person ausgetauscht).
Die Aufstellungsleitung fragt dann zunächst jede einzelne Stellvertreterin und jeden Stellvertreter, wie es ihr an diesem Platz geht. Ob es Gefühle gibt, einen körperlichen Impuls, ob zu bestimmten Stellvertretern starke Beziehungen bestehen usw.
Aus diesen stellvertretenden Wahrnehmungen heraus entnimmt die Aufstellungsleiterin oder der Aufstellungsleiter Informationen, wo die Ordnungen im System gestört sind und beginnt, die Stellvertreter umzustellen. Dabei werden die Stellvertreter in vielen Fällen auch aufgefordert, zu anderen Stellvertretern bestimmte einfache Sätze zu sagen wie z.B. „Du bist meine Mutter. Von dir habe ich mein Leben.“ oder „Du bist mein Großvater und ich achte dein schweres Schicksal“. Nach einiger Zeit ergibt sich ein „Lösungsbild“, also eine Aufstellung, in der alle Familienmitglieder ihren gemäßen Platz haben. Über die Stellvertreter (und an dieser Stelle dann auch die Person mit dem Anliegen, die für ihre Stellvertreterperson eingewechselt wurde) wird geprüft ob sich alle an ihrem richtigen Platz fühlen und ob die Gefühle und Bindungen der Mitglieder im Familiensystem den genannten Ordnungsprinzipien entsprechen. Wenn ja, wird die Aufstellung beendet.
Bewegungen der Seele
Im Laufe der Zeit, wie es so oft mit solchen Methoden und Ansätzen ist, haben sich aus der Anwendung der Methode und den dabei gemachten Erfahrungen und Beobachtungen heraus Veränderungen ergeben. Wie beim klassischen Familienstellen geht auch in der Fortentwicklung vieles auf die Arbeit und die Beobachtungen von Bert Hellinger zurück. Und Bert Hellinger nannte die Weiterentwicklung „Bewegungen der Seele“.
Bei dieser Form der liegt der Akzent nicht so sehr auf der Einhaltung oder der Wiederherstellung einer ursprünglichen Ordnung im Familiensystem, sondern die Aufmerksamkeit verlagert sich mehr auf den Prozess, auf dass, was die Stellvertreter empfinden in einer Aufstellung, wohin es sie zieht, welche seelischen Kräfte sich zeigen. Und in der Aufstellung geht man dann mit diesen Kräften mit, wo immer das auch hinführen mag.
Das Vorgehen bei Aufstellungen zu den Bewegungen der Seele
Wie beim klassischen Familienstellen wird mit Stellvertretern gearbeitet, die im Raum zueinander aufgestellt werden. Und es werden bei den Stellvertretern die Gefühle, Impulse, Orientierungen (Blickrichtungen) und körperlichen Sensation erfragt. Und ebenso werden dann die Stellvertreter aufgefordert, Veränderungen in der Position durchzuführen und zu berichten, welche Veränderungen sich dann ergeben.
Die Unterschiede[1] sind dagegen:
- Bei den Bewegungen der Seele startet man oft mit einer deutlich kleineren Besetzung an Stellvertretern, nur wenige für das Anliegen zentrale Personen werden als Stellvertreter aufgestellt. Wenn sich im Rahmen der Aufstellung an den Stellvertretern im Aufstellungsfeld zeigt, dass noch andere Personen wichtig sind, werden diese anderen Personen in die laufende Aufstellung hineingenommen.
Es kann zum Beispiel sein, dass man Anfang erst einmal nur die Person mit dem Anliegen, die Mutter und den Vater aufstellt mit Stellvertretern. Ob und in wie weit dann noch Geschwister, Mitglieder der Herkunftsfamilie der Eltern, abgetriebene oder totgeborene Kinder usw. aufgestellt werden, entscheidet sich erst im Rahmen der Aufstellung. Es ist meist nicht nötig, ein Familiensystem komplett mit allen, die gemäß dem Prinzip der Zugehörigkeit dazugehören, auch aufzustellen. Es reicht, diejenigen Personen (oder manchmal auch Prinzipien oder Archetypen) aufzustellen, die für die gerade vorliegende Fragestellung relevant sind. Und was oder wer, relevant ist, zeigt sich oft genug erst im Rahmen der Aufstellung und kann nicht im Vorhinein entschieden werden. - Die Auswahl der wesentlichen Akteure für die Aufstellung ist wichtiger als ihre Positionierung im „Ausgangsbild“. Es hat sich gezeigt, dass es für eine Aufstellung meist nicht wesentlich ist, wie die Stellvertreter am Anfang genau zueinander stehen, wenn man sich der Eigendynamik der seelischen Bewegung anvertraut.
- Die Bewegungen der Seele, wie sie durch die Stellvertreter im „wissenden Feld“ durch Hinweisreize erfahren werden, bestimmen der Fortgang der Aufstellung. Niemand – nicht die Aufstellungsleitung, nicht der „Klient“, nicht die Stellvertreter – wissen, worauf es hinauslaufen wird. Ja, mitunter weiß am Anfang niemand im Raum am Anfang, worum es eigentlich wirklich geht, dies zeigt sich dann erst im Laufe der Aufstellung. Und es kann sich mitunter auch merklich von dem unterscheiden, was die Person mit dem Anliegen als Anliegen formuliert[2].
Wir sehen so weite wie möglich von allen Vorannahmen oder dem, was wir zu wissen glauben, ab und verlassen uns so vollständig wie mögliche dem Wissenden Feld. - Es wird darauf verzichtet, zwingend ein „Lösungsbild“ erreichen zu wollen, eine „gute Ordnung“ zu erzielen oder überhaupt etwas bestimmtes herstellen zu wollen in einer Aufstellung, was einer vorab ausgedachten Ordnung, Struktur oder Lösung entspricht.
Oft reicht es, wenn die Bewegungen der Seele sich zeigen, die in der Seele wirksamen Gestalten und Archetypen sichtbar werden – und sich eine Richtung zeigt, in welche sich die seelische Dynamik bewegt. Dann braucht es nicht einmal eine Lösung im engeren Sinn. Es reicht, wenn deutlich wird, wohin die seelische Bewegung möchte und was die nächsten Schritte sind, die anstehen.
Aufstellungen als Form, die Bewegungen der Seele zu erkennen, in man mit diesen Bewegungen geht, ist also im Vergleich mit den klassischen Familienaufstellungen eine freiere Form.
Es ist gleichzeitig eine Form, die weniger vorhersehbar ist. Metaphorisch: Es ist mehr Kunst als Handwerk. Und es ist eine Form, die deutlich weniger bewusste „Steuerung“ durch die Aufstellungsleitung erfordert sowie verträgt. Auch die Aufstellungsleitung vertraut sich – so weit wie sie es vermag – den seelischen Bewegungen an, wie sie sich zeigen. Ohne Absicht und ohne zu wissen, wohin die Bewegung führen mag.
Dies macht die Rolle der Leitung kleiner und, so möchte man sagen, demütiger. Gleichzeitig verlangt es der Aufstellungsleitung mehr ab. Der Verzicht auf Kontrolle und Absicht fordert die Leitung einer Aufstellung mehr. Und wenn es gelingt, ist es nicht „gemacht“ worden. Sondern alle Beteiligten, Klienten, Stellvertreter und Aufstellungsleitung werden geführt und „in Dienst genommen“, um hier eine Formulierung von Hellinger zu verwenden.
In Dienst genommen von was? Wir wissen es nicht! Zumindest nicht allgemein. Es wird uns nur zugänglich, so weit es sich in einer konkreten Aufstellung zeigt. Und so weit es zu diesem Zeitpunkt wichtig ist.
[1] Manchmal sind die Unterschiede zum klassischen Familienstellen sehr subtil, so dass es auf den ersten Blick sich nicht von einer klassischen Familienaufstellung unterscheidet. Manchmal sind die Unterschiede sofort offensichtlich.
[2] Was nicht bedeuten soll, dass eine möglichst sorgfältige Formulierung des Anliegens unwichtig wäre. Es soll nur sagen, bildlich gesprochen: Das vorgetragene Anliegen, worum es in der Aufstellung gehen soll, ist der Punkt, an dem das Kanu in Wasser gesetzt wird. Wohin es das Kanu trägt, hängt dann aber vom Verlauf der Gewässer und Strömung (und der Unterströmungen!) ab und kann vom Einstiegspunkt aus nicht vorausgesehen werden.