Aufstellungen ohne Lösungen – können Aufstellungen „scheitern“?

Wenn ein Mensch eine Aufstellung macht, erhofft (oder erwartet gar) dieser Mensch von der Aufstellung eine Lösung oder zumindest eine Erleichterung für ein drängendes Lebensproblem. Und tatsächlich ist es meist so: Wenn eine bislang verborgene seelische Dynamik über eine Aufstellung „ans Licht gebracht“ wurde, ergibt sich eine norme Erleichterung und eine Klarheit über die nächsten Schritte, die anstehen. Dies ist aber nicht so sehr Resultat etwa eines Ratschlages[1], der eine neue Erkenntnis brächte. Es ist vielmehr eine veränderte innere Haltung, eine buchstäblich andere Sichtweise auf die subjektive Welt und das bisherige Problem, welche dann die nächsten Schritte offensichtlich und im Einklang mit der Seele und damit leicht und einfach macht.

Manchmal aber kommt es in einer Aufstellung nicht zu einer solchen Lösung. Zumindest sieht es auf den ersten Blick so aus. Wenn wir über das „Scheitern[2]“ einer Aufstellung reden, müssen zwei Sachverhalten unterschieden werden:

1. Die Person, um die es geht, steht innerlich-seelisch sozusagen „im Bann“ etwa eines Ereignisses in der Herkunftsfamilie – nur, worum es sich bei dem Ereignis handelt, ist völlig unklar.

2. In der Aufstellung zeigt sich sehr deutlich ein Weg zur Auflösung einer belastenden seelischen Dynamik. Aber die Person, um die es geht, kann diesen Lösungsweg nicht beschreiten.

Als Beispiel für den ersten Fall mag ein Erlebnis dienen, dass ich in einer meiner allerersten Begegnungen mit Familienaufstellungen hatte. In dem Fall wurde – damals noch in der „klassischen Form der Familienaufstellungen als „Ordnungen der Liebe“ – die Herkunftsfamilie aufgestellt und die Stellvertreter starrten alle unmittelbar auf eine bestimmte leere Stelle im Raum und konnten ihren Blick kaum davon lösen. Es war offensichtlich, dass diese leere Stelle, das was hier fehlte, der Schlüssel war. Es gab aber keinerlei Information, um was es sich handeln könnte. Die Leiterin der Aufstellung brach damals an dieser Stelle ab mit den Worten: „Hier können wir nicht weiter machen. Es fehlen uns Informationen.“ Und an den Klienten gewannt: „Vielleicht forschst du noch einmal in deiner Familiengeschichte, welches Tabu oder welche ausgeschlossene Person hier fehlt. Dann könnten wir da weiter machen.“

Als Beispiel für den zweiten Fall nenne ich hier eine Aufstellung, bei der es um die Aussöhnung mit der eigenen Mutter ging. Die Frau, für welche die Aufstellung durchgeführt wurde, machte ihrer Mutter schwere Vorwürfe bezüglich ihrer Kindheit und beschrieb ihr Anliegen so, dass sie ihrer Mutter gerne verzeihen möchte, um innerlich mehr Frieden zu finden.
Im Rahmen der Aufstellung wurde durch die Stellvertreter einerseits deutlich, wie sehr die Mutter durch schicksalshafte Ereignisse in ihrer Herkunftsfamilie geprägt war. Und zum anderen wurde deutlich, dass der Weg zur Lösung für die Klientin darin bestand, als Kind auf ihre Mutter zuzugehen und sie als ihre Mutter vollständig anzunehmen – mit allem, so wie sie war. Wir sprechen hier von einer „unterbrochenen Hinbewegung“ des Kindes zur Mutter, die nachträglich geheilt werden kann, um das Leben ganz auch von der Mutter nehmen zu können. Die Stellvertreterin der Klientin hatte in der Aufstellung diesen Weg sozusagen „gebahnt“ und es war sehr deutlich, dass hier die Lösung lag. Aber die Klientin konnte, nachdem die Stellvertreterin aus der Rolle entlassen war und sie selber in der Aufstellung stand, diesen Weg nicht gehen. Sie ging den Weg einige Schritte, blieb dann aber ca. 2 Meter vor der Stellvertreterin der Mutter stehen. Und sagte: „Ich kann da nicht hingehen“. Und es war völlig eindeutig, das es an dieser Stelle nicht weitergeht.

Welche Wirkungen haben nun diese beiden Formen von „Scheitern“?

Zur ersten Form und dem ersten Beispiel – den fehlenden Informationen – wäre zunächst zu sagen, dass dies in der Weiterentwicklung der Familienaufstellungen von den „Ordnungen der Liebe“ zu den „Bewegungen der Seele“ kaum noch vorkommt. (Mehr zur  Unterscheidung dieser beiden Formen von Familienaufstellungen hier.)  Dies unter anderem deshalb, weil man bei den „Bewegungen der Seele“ die Einzelheiten, was genau vorgefallen ist oder um wen es genau geht, nicht immer wissen muss. Es ist auch möglich, in so einem Fall einen Stellvertreter für „das Unbekannte“ oder „das Geheimnis“ aufzustellen. Die Stellvertreter können meist sehr gut sagen, in welche Richtung das Thema geht. Ob es sich z.B. um ein abgetriebenes oder verheimlichtes Kind handelt, eine ausgegrenzte Person, die vielleicht Selbstmord begangen hat oder in der Psychiatrie gelandet ist oder was auch immer. Und es geht nur um das Grundthema – nicht um die Details. Und dann kann im Rahmen einer Aufstellung dieses Grundthema, z.B. eine ausgeschlossene Person im Familiensystem, in das eigene Herz aufgenommen werden – auch wenn man nicht weiß, um wen genau es sich handelt. Wir könnten auch sagen: Wir verlassen uns darauf, dass die Seele es schon wissen wird.
In beiden Fällen, ob nun in der klassischen Form der Aufstellungen oder mit eher abstrakten Rollen für Stellvertreter, ergibt sich oft recht kurz nach Aufstellung, dass den Klienten oder die Klientin genau die Information erreicht, die gefehlt hat. Da kommt dann ganz zufällig beim Kaffeetrinken anlässlich Tante Herthas Geburtstag das Gespräch auf den Großonkel Paul der …. – was vorher noch nie Thema war. Die Berichte von solchen im Wortsinne merkwürdigen Zufällen oder Fügungen sind zahlreich.

Bei der zweiten Form, in der durch die Aufstellung die Lösung zwar sichtbar ist, aber nicht „genommen“ werden kann, liegt die Wirkung anders. Zunächst einmal ist auch das „nicht Nehmen“ einer möglichen Lösung anzuerkennen. Es kann sein, dass die Person, die eine mögliche Lösung nicht annimmt, damit im Einklang mit einer größeren Bewegung in ihrer Seele steht. Da darf man dann nicht weiter intervenieren, wenn man dieser Peson nicht etwas von ihrer Würde nehmen will. Lösung ist ja das Gegenteil von Bindung. Und vielleicht liegt manchmal in der Aufrechterhaltung einer inneren Bindung die größere Liebe und mehr persönliche Größe, auch wenn sie Leid bedeutet. Dies von außen beurteilen zu wollen, wäre eine Anmaßung.
Es kann aber auch sein und kommt gar nicht so selten vor, dass es einfach nur noch nicht die rechte Zeit war für diese Ent-Wicklung. Manchmal geht eine solche Bewegung am nächsten Tag, wo sie am vorherigen Tag noch nicht möglich war. Oder im nächsten Monat oder im nächsten Jahr. Die Seele hat ihre eigenen Rhythmen und ihre eigene Zeit – da darf man nichts über Gebühr forcieren[3].

In jedem Fall wäre die Aufstellung nicht nutzlos gewesen. Es ist ein Impuls gesetzt, der in der Seele weiterarbeitet. Bert Hellinger hat mitunter zum Abschluss einer solchen „gescheiterten“ Aufstellung den – wie ich finde – schönen Satz gesagt: „Ich vertraue alles Weitere deiner guten Seele an“.
Das ist eine demütige Haltung, bei der sich der Aufstellungsleiter nicht über den Klienten oder die Klientin und ihre seelischen Bewegungen stellt.

 

Fußnoten:

[1] In der systemischen Beratung gibt es einen Satz, der lautet: „Ratschläge sind auch Schläge“.

[2] Das „Scheitern“ steht hier immer in Anführungszeichen. Es wird im Verlaufe des Textes deutlich werden, warum.

[3] Ein Aufstellungskollege wirbt für seine Aufstellungsveranstaltungen mit der Garantie, jede der durch ihn geleiteten Aufstellungen würde eine Lösung ergeben. Es gruselt mich immer ein wenig, wenn ich so etwas lese. Wie frei ist er mit diesem Versprechen noch, den seelischen Bewegungen in ihrem Eigensinn wirklich nachzugehen?