Nein, hier steht jetzt kein Rezept. Man nehme dies, man wiege noch jenes zu – und dann gelingt der Kuchen. Oder so. Es geht hier auch nur teilweise um etwas, was man tun könnte. Es geht um zwei Aspekte, die in das Gelingen oder Nicht-Gelingen einer Paarbeziehung hineinspielen, und die nur sehr zum Teil in unserer Kontrolle liegen. Es sind sicherlich nicht die einzigen relevanten Einflussfaktoren, aber es sind zwei wichtige, weshalb sie hier zur Sprache kommen sollen.
In einer Paarbeziehung treffen sich nicht zwei Individuen – es treffen sich zwei Systeme
Wenn zwei Menschen sich treffen und stark voneinander angezogen sind (und ich nehme als Beispiel einmal an, es handele sich um einen Mann und eine Frau), dann treffen sich hier nicht nur ein einzelner Mann und einen einzelne Frau und bewegen sich aufeinander zu.
Hinter dem Mann stehen seine Eltern, hinter denen deren Eltern und hinter deren Eltern deren Eltern. Des Weiteren stehen hinter ihm weiter wichtige Mitglieder seines Herkunftssystems wie vielleicht Geschwister, insbesondere aber Mitglieder im Familiensystem mit besonderen oder schweren Schicksalen. Und zusätzlich stehen hinter (oder vielleicht auch neben) ihm noch wichtige frühere Partnerschaften, besonders, wenn es gemeinsame Kinder gibt.
Und hinter der Frau stehen genau so die Eltern, Großeltern, wichtige Schicksale und gegebenenfalls wichtige frühere Partnerschaften, besonders, wenn es gemeinsame Kinder – auch abgetriebene oder totgeborene -aus der Partnerschaft gibt.
Und beide sind seelisch an diese Herkunftssysteme gebunden, ihnen und ihren Wertesystemen verpflichtet. Das gilt auf der seelischen Ebene immer. Auch wenn es äußerlich so aussieht, als habe sich jemand von seinem Herkunftssystem losgesagt. (Wahrscheinlich gilt es dann sogar in besonderem Maße – die Rebellion gegen das eigene Herkunftssystem bindet seelisch um so stärker) Es treffen sich also niemals nur zwei Personen. Es treffen immer zwei komplette soziale Systeme aufeinander. Diese Systeme wirken in den Personen die sich treffen. Und dieses Aufeinandertreffen von zwei kompletten Systemen erzeugt (vermutlich) diese besondere Anziehungskraft, eine Kraft, welche die beiden Personen als einzelne Individuen gar nicht hätten.
Ich stelle mir manchmal vor – aber es ist wirklich erst einmal ein inneres Bild, ich weiß nicht, ob es wirklich so ist – dass über die Köpfe der beiden Personen sich die beiden Systeme zulächeln. Und sich zuflüstern: „Über die Verbindung dieser beiden können wir vielleicht etwas lösen, was bislang einen Lösung nicht zugänglich war“. Oder etwas heilen, was bislang in den Systemen einer Heilung nicht zugänglich war.
Das bedeutet aber auch: Früher oder später, nach der Phase der ersten Verliebtheit, wird sich diese Bindung an das Herkunftssystem zeigen. Und es zeigt sich in Form von „Fehlern“, bei den Partner. Bestimmte Eigenheiten oder Eigentümlichkeiten, wo dann der Partner oder die Partnerin denkt: „So hatte ich mir das nicht vorgestellt!“ Es sind fast immer die seelischen Bindungen an das größere System in meinem Gegenüber, die hier zum Vorschein kommen.
Was bedeutet das nun praktisch? Oder: Was soll ich damit tun als Teil einer Partnerschaft? Nun, tun kannst du da wenig. Eigentlich geht es auch gar nicht um ein bestimmtes Tun. Meine Vermutung ist: Es reicht, anzuerkennen, dass es so ist. Mit deinem Partner oder deiner Partnerin hast du dir ein ganzes System mit eingehandelt. Und das ist nicht leicht und fordert dich, manchmal bis an die Grenze[1]. Aber sei dir gewiss: Deinem Partner oder deiner Partnerin geht es genau so. Dies zu wissen, anzuerkennen und vorbehaltlos „Ja“ dazu zu sagen, macht es aber leichter.
Das „JA“ zum Anderen mit allem, was zu ihr oder ihm gehört
Damit sind wir schon beim zweiten Punkt, auf den ich eingehen will. Zum Gelingen einer (langfristigen) Partnerschaft trägt sicherlich bei, wenn wir in der Lage sind, wirklich bedingungslos JA (ein großes JA!) zum Anderen zu sagen. Mit allem was zu ihm oder ihr gehört. Und dazu gehören nicht nur die „Marotten“, sondern vor allem das, was ihn oder sie zu dem gemacht hat, was er oder sie ist. Und das ist in erster Linie das weitere Herkunftssystem, die gesamte Ahnenreihe mit allen Schicksalen. Hiermit ist die andere Person seelisch verbunden. Ob das gewusst oder gewollt wird oder nicht. Nur so ist der andere Mensch zu haben – ohne dies ist er nicht zu haben.
Es gibt eine kleine mentale Übung, die man dazu machen kann. Man stellt sich seinen Partner oder seine Partnerin innerlich vor, stellt die Person innerlich vor sich hin. Und dann schaut man über die Person hinaus und sieht vor dem geistigen Auge die Eltern. Und hinter den Eltern deren Eltern usw., bis weit in die Tiefe der Zeit hinein. Und wenn das alles im Blick ist, dann sage man innerlich zum Partner oder Partnerin: „Ich stimme dir zu, mit allem was zu dir gehört. Ohne Einschränkung“.
Man kann es sich ja auch einmal andersherum vorstellen. Viele Menschen laufen innerlich mit einem „Idealbild“ eines Partners oder einer Partnerin herum. Aber man stelle sich das einmal wirklich konkret vor, man hätte so einen Partner oder so eine Partnerin! Wie wäre das? Wie könnte man da noch wachsen? Wie könnte da die Partnerschaft noch wachsen? Und nebenbei gesagt: Wenn du einen „fehlerfreien“ Partner möchtest, dann weißt du natürlich eines ganz genau, auch wenn du es dir vielleicht nicht gerne zugibst: DU bist mit Sicherheit NICHT fehlerfrei. Dazu kennst du dich zu lange und zu gut, um dies ziemlich genau zu wissen. Also wärest du mit einem „fehlerfreien“ Partner immer in der unterlegenen Position. Willst du das wirklich?[2]
Wenn dieses große JA gelingt, dann ist das eine besondere Leistung. Aber auch hier wieder: Die Frage, „was muss ich tun, damit mir diese Leistung gelingt?“ führt in die Irre. Wenn es gelingt, ist es einen Leistung des vollen Lebensvollzugs.
Manchmal begegnet man Paaren, da spürt man das, auch von außen. Da liegt eine besondere Kraft in dieser Paarbeziehung. Und die strahlt aus. Woher kommt diese Kraft? Ich weiß es nicht wirklich. Ich weiß nur: Wenn diese Kraft da ist, sind diese Menschen mit etwas Größerem verbunden, das sie hält, trägt und führt.
Aber das sich Üben im großen JA zum Partner / zur Partnerin wäre in jedem Fall ein guter Anfang.
[1] Man könnte meinen, dass sei der eigentlich (Hinter)Sinn einer Partnerschaft: Gefordert zu werden bis an die Grenze. Auf das man wachse an dieser Herausforderung.
[2] Jetzt könntest du – oder ein Teil von dir – einwenden: Aber ist das nicht zu bescheiden? Warum soll ich mich mit weniger als perfekt zufrieden geben? Aber es ist gar nicht bescheiden. Wenn jemand aus vollem Herzen und ohne Einschränkung sagen kann: „Mein Mann ist ein guter Mann“ oder „Meine Frau ist eine gute Frau“ – dann ist das mehr als genug. Und das hat Größe.