In den beiden letzten Blogbeiträgen (hier und hier) ging es um die Paarbeziehung. Genauer gesagt: Um die Frage, wie langfristige Paarbeziehungen gelingen. Gemeint waren beide Beiträge nicht – obwohl sie vielleicht so verstanden werden könnten – als „Ratgeberbeiträge“. Es ging nicht um Empfehlungen, was man tun sollte, um eine langfristige und tragfähige Paarbeziehung aufzubauen, falls man dies wünscht[1]. Es handelte sich um Beschreibungen: Was lässt sich beobachten? Welche Wirkungen in Richtung Stabilität oder Instabilität sehen wir häufig? Und diese Beschreibungen leiten sich her aus den Erfahrungen, die in Familienaufstellungen aber auch in Paarberatungen und Paartherapien gesammelt wurden. Damit ist keine Wertung verbunden, etwa im Sinne einer Aussage so sollte es sein. (Und schon gar nicht im Sinne der Aussage: So solltest DU sein in einer Paarbeziehung).
Jedenfalls beschränkten sich die beiden Beiträge auf die Paarbeziehung „an sich“. Ausgeklammert wurde der Aspekt der Elternschaft bei einem Paar. Und dieser Frage widmet sich der vorliegende Beitrag. Was ändert sich in der Paarbeziehung, wenn gemeinsame Kinder hinzukommen?
Um es vorab zu sagen: Die Antwort auf diese Frage ist paradox. Sie lautet nämlich: Alles und Nichts!
Kinder ändern ALLES in einer Paarbeziehung
Wenn ein Paar Kinder hat oder bekommt, ändert sich Alles. Und damit meine ich nicht einmal so sehr den Alltag, die Rollenverteilung, die zusätzlichen Belastungen und Verantwortungen sowie die Veränderungen in den Wertesystemen, also der Frage, was einem wichtig ist im Leben. Das ist zwar die Ebene, die man am deutlichsten merkt. Aber ich meine jetzt speziell die Änderungen in der Paarbeziehung. Die sind oft (zunächst) nicht so deutlich zu merken, aber trotzdem fundamental.
Zunächst einmal eröffnet sich für das Paar eine ganz andere Perspektive. Als Paar schaut man nicht nur auf sich (also die Paarbeziehung), sondern auf etwas gemeinsames Drittes. Auf die Aufgabe, gemeinsam Eltern zu sein. Das kann – im günstigen Fall – die Paarbeziehung enorm vertiefen. Es gibt ihr in der Seele mehr Gewicht.
In Familienaufstellungen sieht man häufig, wenn man ein Paar sich gegenüber stehend aufstellt, so dass sie sich direkt anschauen, dass sie dies nicht lange aushalten. Eine Zeit lang ja, da kann das auch sehr intensiv sein. Aber auf die Dauer ist es eher schwierig. Ein Paar mit Kind oder Kindern, also eine Familie, hat eine andere Stellung. Da stehen die Eltern nebeneinander und schauen auf die Kinder. Und in diesem nebeneinander stehen und gemeinsam auf etwas Drittes schauen fühlen sie sich verbunden. Oft sehr inniglich verbunden. Es hat eine andere Qualität als das sich gegenüber Stehen.
Natürlich gibt es diese seelische Bewegung auch bei kinderlosen Paaren. Aber dann benötigen diese Paare eben ein anderes „gemeinsames Drittes“, auf das sie schauen können. Bei Wissenschaftler-Paaren, Künstler-Paaren oder auch bei einem gemeinsamen politischen oder kulturellen Engagement kommt so etwas auch vor.
Aber noch etwas ändert sich fundamental, wenn aus einem Paar eine Familie wird: Die Frau, die Mutter erhält in der Paarbeziehung ein stärkeres Gewicht. Ich habe an anderer Stelle ausführlicher dazu geschrieben. Hier dazu nur als Kurzfassung: Über die spezifische Erfahrung von Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit, bei der das Kind zunächst buchstäblich ein Teil des Körpers der Mutter ist und auch nach der Geburt stärker körperlich an die Mutter gebunden ist, ergibt sich die Beziehung der Kinder zur Mutter in einer anderen Qualität als die zum Vater. Die Mutter erlangt über die Kinder dann eben auch eine andere Art von Präsenz in der Paarbeziehung. Man könnte auch – etwas überspitzt – formulieren: Sie erlangt in der Paarbeziehung das Übergewicht. Das ist ein seelischer Prozess, kein psychologischer. Es muss nicht zwingend damit einhergehen, dass die Frau in der Partnerschaft sich für „besser“ hält als ihren Mann. Aber ihr seelisches Gewicht wird höher.
In Familienaufstellungen sehen wir es häufig, dass im Ausgangsbild der Aufstellung die Väter eine eher „randständige“ Position haben und sich auch oft weniger in ihrer Kraft fühlen. Mitunter ist es dann auch so, dass die Frau auf die männliche Schwäche mit Verachtung reagiert. Wenn das passiert, wird häufig eines der Kinder „rebellisch“ oder sonst wie schwierig – aber das nur nebenbei.
Wir sehen in den Familienaufstellungen: Im günstigen Fall gewinnen beide Partner eines Paares durch die Elternschaft an seelischem Gewicht und an seelischer Tiefe. Aber: Die Frau als Mutter gewinnt hier in der Regel mehr im Vergleich zum Mann als Vater. Zumindest im Innenverhältnis der Familie verschieben sich also die Gewichte. Und das stellt die Paarbeziehung vor eine Herausforderung. Im Grundsatz ist es ja so, dass in einer stabilen Partnerschaft die beiden Personen höchst unterschiedlich, aber gleichwertig sind. Nur so kann es überhaupt zu einem dauerhaften Austausch, einer gegenseitigen Befruchtung auf der seelischen Ebene kommen. Und hier liegt das Problem für die Paarbeziehung in der Familie: Gegenüber den Kindern, insbesondere den kleinen Kindern, ist das Gleichgewicht der Partner im „Innenraum“ der Familie systematisch gefährdet[2].
Kinder ändern NICHTS an den Grundlagen der Paarbeziehung
Nach dem bislang Gesagten erscheint diese Aussage paradox oder gar unsinnig. Sie erhält aber einen tieferen Sinn, wenn man sie in einem bestimmten Kontext betrachtet. Im frühen Familienstellen, das noch stärker den Aspekt der „Ordnungen der Liebe“ betonte[3], wurde über viele Einzelbeobachtung eine Regel für eine „gute“ Ordnung gefunden, die lautete: Die Paarbeziehung hat Vorrang vor der Elternschaft.
Gemeint ist damit: Die Paarbeziehung war vor der Eltern-Kind-Beziehung da. Und die Paarbeziehung ist die Grundlage der Elternschaft. Deswegen hat sie auch einen „Vorrang“.
Ein gut „funktionierendes“ Familiensystem – man verzeihe mir hier den technischen Ausdruck, der die Sache nicht wirklich trifft – hätte also in dieser Sichtweise die Voraussetzung, dass die Eltern ihre Paarbeziehung nicht „opfern“ zugunsten der Elternschaft, sondern im Gegenteil zuerst und zuvörderst ihre Paarbeziehung vital leben und dann aus dieser Beziehung heraus ihre Elternschaft gestalten.
Und in diesem Sinne ändert sich gar nichts an den Bedingungen für eine langfristige Paarbeziehung, wie sie in den beiden letzten Blog-Beiträgen beschrieben wurden: Jeder Teil der Partnerschaft ist nicht nur als Einzelperson (als Individuum) in der Partnerschaft präsent, sondern trägt im Rucksack die ganze Herkunftsfamilie insbesondere mit den bedeutsamen Schicksalen dort mit sich herum. Das muss erkannt und anerkannt werden – und dazu muss vorbehaltlos „JA“ gesagt werden. Und die drei Säulen, auf denen die Paar-Beziehung ruhen kann, sind die geteilte Sexualität, die tiefe Wertschätzung für die andere Person und der gemeinsam gemeisterte Alltag. Das bleibt alles weiterhin und ohne Abstriche gültig, auch wenn die Paar-Beziehung um den Aspekt der Elternschaft erweitert wird.
Im letzten Abschnitt hatte ich ja beschrieben, dass man in Familienaufstellungen im Ausgangsbild die Väter oft in einer eher „randständigen“ Position findet. Mitunter ist der Vater für einzelne Kinder oder gar alle Kinder nicht recht sichtbar. Und wenn im Verlauf der Aufstellung so umgestellt wird, dass die Eltern nebeneinander und den Kindern gegenüber stehen (die Eltern also beide gleichermaßen für die Kinder sichtbar sind), dann geht oft ein spürbares und sichtbares Aufatmen durch die Stellvertreter der Kinder. Sie fühlen sich entlastet. Und sie dürfen Kind sein, wenn sie die Eltern nebeneinander sehen. Und noch etwas anderes zeigt sich häufig in diese Aufstellungen: Nach der Umstellung sehen sich die Eltern stärker oder manchmal sogar zum ersten Mal wirklich in dieser Aufstellung. Da passiert dann etwas bei den Stellvertretern der Eltern, also ob sie sich innerlich sagen würden: „Hoppla, da ist ja noch ein Partner / eine Partnerin! Das hatte ich fast vergessen.“
Es zeigt sich in diesen Familienaufstellungen: Wenn die Paarebene der Eltern nicht vergessen, sondern gelebt wird, dann geht es sowohl dem Paar besser als auch den Kindern.
Und in diesem Sinn ändern gemeinsame Kinder nichts an den grundlegenden Dingen im Gelingen einer Paarbeziehung. Eher im Gegenteil: Es bleibt alles weiterhin genau so gültig, es wird eher noch wichtiger, weil über die gute Paarbeziehung auch eine gute Elternschaft leichter gelebt werden kann.
Abschließend möchte ich noch anfügen, dass dies auch dann gilt, wenn die Eltern als Paar sich trennen. Wenn die Mutter hier trotz Trennung innerlich den Kindern gegenüber neben dem Vater steht und wenn der Vater trotz Trennung innerlich den Kindern gegenüber und neben der Mutter steht, dann wird die Trennung für die Kinder als weniger belastend erlebt.
[1] Tatsächlich ging es um Dinge, die man nicht wirklich tun kann. Die sich aber entwickeln können, aus einer gewissen inneren Haltung und auch aus einer Einsicht heraus.
[2] Väter, die dies mehr oder weniger instinktiv spüren, suchen dann oft ihr „spezifisches Gewicht“ über das Außenverhältnis der Familie zu stärken, zum Beispiel über eine stärkere Funktion in der materiellen Existenzsicherung der Familie. Auch dies wäre eine seelische Ausgleichsbewegung mit dem Ziel, wieder eine Gleichwertigkeit zunächst in der Partnerschaft im engeren Sinne und darüber in der Familie im weiteren Sinne herzustellen.
[3] Mehr zum Unterschied zwischen der Frühphase im Familienstellen und der späteren Entwicklung hin zu den „Bewegungen der Seele“ hier.