Dieser Text ist geschrieben in den Tagen nach Weihnachten 2020 Die Weihnachtstage standen in diesem Jahr unter besonderen Einschränkungen. In Manchem konnte nicht so Weihnachten gefeiert werden, wie wir das gewohnt waren. Gleichzeitig haben Viele, wenn nicht die Meisten, versucht, so viel wie möglich ihrer Weihnachtsgewohnheiten und Rituale sozusagen zu „retten“, so weit es eben möglich war.
Was wir an Weihnachten erleben, ist eine Bindung an bestimmte Formen und Gewohnheiten, dieses Fest zu feiern. Was bindet uns hier? Zu einem großen Teil bindet uns hier unsere Herkunft und die Traditionen, in denen wir aufgewachsen sind. Ihnen fühlen wir uns – oft unbewusst – verpflichtet und gleichzeitig zugehörig. Durch diese Zugehörigkeit dürfen wir sein, so ist das unterschwellige Gefühl.
Wenn zwei Menschen sich als Paar zusammen tun und vielleicht eine Familie gründen, dann kommt es gerade zu Anlässen wie Weihnachten dazu, dass hier die besondere Art, die Tage zu begehen, ausgehandelt werden muss. Jede der beiden Parteien bringt mit, was in ihrer Herkunftsfamilie wichtig war. Und da sich die beiden Herkunftsfamilien unterscheiden, passiert es meist so, dass manche Elemente aus der einen Herkunftsfamilie und manche aus der anderen übernommen werden und mitunter auch noch eigenen Elemente eingeführt werden, die es genau so nur bei diesem Paar oder dieser Familie gibt.
Es wird also in den Weihnachtsbräuchen einer jeden Familie etwas vollzogen, was die jeweiligen Wurzeln und die Herkunft sowohl der einen wie der anderen Seite achtet und ehrt, sie verbindet und darüber hinaus auch noch etwas Eigenes schafft. In der Anfangszeit einer Partnerschaft muss dies erst noch ausgehandelt werden, was oft nicht ganz konfliktfrei vonstatten geht.
Wie Bindung und Zugehörigkeit dem Leben und seiner Entfaltung dient
Es gibt solche Bindungen an Gewohnheiten und Herkunft in mannigfacher Gestalt im Leben. Und manchmal wirken solche Bindungen auch einschränkend, dem Leben und seiner Entfaltung, seiner Fülle entgegen gesetzt.
Es kann zum Beispiel vorkommen, dass jemand wenig Erfolg im Leben hat, obwohl alle Fähigkeiten, Kenntnisse und Anlagen dafür vorhanden wären. Im Rahmen von Familienaufstellung zeigt sich dann häufig, dass dieser Mensch sich vielleicht seelisch gebunden fühlt an seine Herkunftsfamilie. Wenn in der Herkunftsfamilie wenig Erfolg war, dann würde ich mich – so der seelische Impuls – über meine Herkunftsfamilie erheben und sie verraten, wenn ich selber erfolgreich bin. Und dann kann ich den Weg des Erfolges immer nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen und dann zwingt mich irgendetwas in meinem Inneren, in meinem Unbewussten, diesen Erfolg zu sabotieren. Warum? Weil ich sonst, so sieht es vielleicht die Seele, die Zugehörigkeit zu meiner Herkunft und meinen Wurzeln verlieren würde.
Eine gute Verwurzelung zu haben dient natürlich dem Lebendigen. Aber die reine Wiederholung, das „ich mache es genau wie du“, kann auch lebensfeindlich sein. Wenn ich bei dem, was einmal war, verharre, verpasse ich die Entwicklung. Die Entwicklung des Lebendigen, die mich einerseits in mein Eigenes hinein bringen möchte und die andererseits möchte, dass ich mich im Strom des Lebens an veränderte Bedingungen anpasse, dass ich auch das Neue gewinne.
Solche Bindungen an Dinge und Geschehnisse in der Herkunftsfamilie, die uns von der Entfaltung des eigenen Lebens abhalten, nennen wir in der Aufstellungsarbeit Verstrickungen. Und die Lösung dieser Verstrickungen sieht ganz allgemein gesprochen meist so aus, dass hier zwei Schritte zu tun sind:
1. Die tiefe und bewusste Annerkennung und Würdigung dessen was war und vor Allem meiner Eltern, von denen ich mein Leben habe. Und über diese hinaus nehme ich auch deren Herkunft und alles, was dazu gehörte, in den Blick. Mit Würdigung in ihrem jeweiligen So-Sein und im Bewusstsein: Ohne all dies – wie immer es auch im Einzelnen gewesen sein mag – wäre ich nicht.
2. Nach dieser Vergewisserung meiner Wurzeln, nach dem Blick in die Tiefe der Zeit, in die Vergangenheit, drehe ich mich um. Ich nehme das, was ich erhalten habe vollständig an, um etwas Neues, etwas Eigenes daraus zu machen: Mit dem Blick auf die Zukunft und die jetzt unmittelbar vor mir liegenden Schritte und Aufgaben.
Mir scheint, dass die Art, wie sich in Familien die jeweils besonderen Weihnachtsgebräuche entwickeln, in dem Sie von beiden Herkunftsfamilien etwas aufnehmen und damit ehren und noch etwas vollständig Eigenes hinzu tun, ein schönes Beispiel für diesen Prozess zu sein, der dem Leben und der Entwicklung dient, in dem er aus der Verbindungen von verschiedenem Althergebrachtem etwas Neues und Eigenes gebiert.