Vor einigen Jahren hatte ich ein Erlebnis, als jemand über eine Aufstellung erzählte, welches mich unangenehm berührte. Eine Frau berichtete, sie vermisste ein bestimmtes Schmuckstück, dass neben dem materiellen Wert einen noch viel größeren ideellen Wert als Erbstück darstellte. Und sie hatte nun ihre polnische Putzfrau im Verdacht, dieses Schmuckstück entwendet zu haben. Sie berichtete, sie habe zu dieser Frage eine Aufstellung durchführen lassen, um Gewissheit über diesen Verdacht zu erhalten. Ich war – so erinnere ich noch lebhaft – milde schockiert. Schockiert einerseits, wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, ein solches Anliegen an eine Aufstellung heranzutragen aber noch mehr, weil die Leiterin oder der Leiter dieser Aufstellungsveranstaltung das Anliegen nicht rundweg abgelehnt hat.
Es war zunächst einmal ein starkes, ein eindeutiges Gefühl, dass die Klärung eines strafrechtlichen Vorwurfes nichts in einer Aufstellung zu suchen hätte. Etwas schwieriger gestaltet es sich schon, stringent zu begründen, warum nicht. Aber genau dies will ich in diesem Beitrag versuchen.
Zunächst einmal geht es in (Familien)aufstellungen um seelische Bewegungen und Kräfte, Dynamiken. Diese seelischen Bewegungen haben meist mit der Bindung an und der Zugehörigkeit zu für uns wichtigen Personen, besonders aus unserem Herkunftssystem, zu tun. Die seelischen Kräfte und Dynamiken die über eine Aufstellung sichtbar gemacht werden können, dienen der Liebe zwischen den Beteiligten und der Würdigung aller, die dazu gehören – unabhängig von ihren Taten.
Zwar erweisen sich oft die Wahrnehmungen der Stellvertreter in einer Aufstellung als erstaunlich „hellsichtig“ in der Weise, dass die Anliegengeber vielleicht sagen „ja, genau in diesem Tonfall hat der Onkel Otto immer geredet“ oder „das war exakt die Körperhaltung von meiner Großmutter mütterlicherseits“. Aber es kann noch dramatischer sein. Ich habe es einmal in einer Aufstellung erlebt, dass eine Teilnehmerin der Stellvertretung für eine Vorfahrin plötzlich in Atemnot geriet und sich dem Ersticken nahe fühlte, sie hatte sichtbar Mühe, Luft zu holen. Erst später stellte sich heraus, dass die Person, für die sie stand, als Flüchtling auf der MS Gustloff in der Endphase des zweiten Weltkrieges mit diesem Schiff untergegangen und (vermutlich) ertrunken ist.
Solche sehr dramatische Erlebnisse sind zwar selten, kommen aber vor. Und dies hat offenbar bei manchen Menschen die Vorstellung erzeugt, Aufstellungen hätten eine „orakelhafte“ Qualität, man könne damit Vorgänge beobachten, bei denen man räumlich und zeitlich nicht anwesend war.
Meiner Erfahrung nach haben Aufstellungen diese Qualität nicht. Sie erlauben zwar manchmal einen Blick „hinter den Schleier“ aber nur in so weit, wie es wirklich dem seelischem Anliegen dient. Im Fall der vermutlich mit dem Untergang der MS Gustloff untergegangen Ahnin diente die Dramatik der Situation der Würdigung des schweren Schicksals und hatte in diesem Zusammenhang eine seelische Funktion für die Person, für welche die Aufstellung durchgeführt wurde.
Die Seele interessiert sich – wenn man einmal so von ihr reden wollte, als wäre sie eine Person – durchaus dafür, dass vergangen Personen und ihre Schicksale nicht vergessen werden. Sie interessiert sich aber dagegen sehr wenig für Besitz und Eigentum an sich. Die Seele interessiert sich also nicht dafür, ob eine bestimmte Person tatsächlich mein Schmuckstück entwendet hat, um auf das Eingangsbeispiel zurückzukommen. Sie würde sich aber wahrscheinlich schon dafür interessieren, welche Beziehung ich zur Erblasserin des Schmuckstücks hatte, was diese Person für mich bedeutet hat und dergleichen. Auf solche Fragen würde man in einer Aufstellung Hinweise bekommen, aber nicht auf die Frage, ob sich jemand dieses Schmuckstück angeeignet hatte und wenn ja, wer?
Um noch ein anderes, hier jetzt gedanklich konstruiertes Beispiel zu bemühen: Nehmen wir an, eine Ehefrau hat den Verdacht, dass ihr Ehemann eine uneheliche sexuelle Beziehung zur Nachbarin unterhält. Könnte man so etwas aufstellen? Ja, könnte man. Aber nicht mit dem Ziel, danach zu wissen, ob der Verdacht richtig ist oder nicht. Es könnte sein, dass sich in der Aufstellung herausstellt, die Frau steht innerlich treu zu ihrer Mutter und ihrer Großmutter, die beide von ihren Ehemännern betrogen wurden. Dies wäre hier das entscheidende seelische Phänomen, diese Verbindung zu voran gegangen Frauen, denen sie ihre Existenz verdankt.
Diese Verbindung, diese Treue, dieses sich innerlich (wenn auch völlig unbewusst) sagen „ich mache es wie du“ oder auch in der Variante „ich mache es für dich“, ist auf der seelischen Ebene von Interesse. Ob die fragliche Frau nun die Tradition fortsetzt, in dem sie genau wie ihre Vorgängerinnen sich einen Ehemann aussucht, der tatsächlich untreu ist oder zumindest Anlass zum Verdacht bietet? Oder ob die fragliche Frau hier eher stellvertretend für z.B. ihre Mutter handelt, in dem sie die Vorwürfe, die seitens der Mutter an den Vater angemessen wären, sozusagen stellvertretend an ihren Ehemann richtet? Für solche Fragen könnte man in einer Aufstellung durchaus Hinweise gewinnen. Aber nicht für die Frage: Ist mein Verdacht wirklich berechtigt? Hat er also oder hat er nicht? Beide seelischen Dynamiken können in unserer gedachten Frau wirken – und zwar sowohl wenn ihr Ehemann tatsächlich untreu sein sollte wie auch wenn er es nicht wäre. Auf diese Frage, bekommen wir in der Aufstellung keine Antwort.
Aus meiner Sicht ist das auch gut so. Aufstellungen können dazu beitragen, mich aus unbewussten Verstrickungen mit den Schicksalen meiner Ahnen zu lösen, in dem ich diese Schicksale anerkenne und würdige und damit frei werde, für den eigenen Lebensvollzug.
Zu diesem eigenen Lebensvollzug würde es im (ausgedachten) Beispiel dann eben auch gehören, dass die Frau ihren Mut zusammen nimmt und mit ihrem Mann spricht über ihren Verdacht und über die Hinweise, die sie wahrnimmt oder meint wahrzunehmen. Mit offenen Ausgang. Das kann und soll eine Aufstellung niemandem abnehmen.