Das Schicksal und Ich

Dieser Blogbeitrag hat ein unmögliches Thema. Es ist eigentlich unmöglich, über das Schicksal zu schreiben. Nicht, weil es sich beim Schicksal um etwas handelt, was größer ist als wir alle. Das ist zwar so, aber das ist nicht der Grund, warum es unmöglich ist, darüber zu schreiben. Die Sexualität z.B., die Kraft die alles menschliche Leben hervorbringt, unter welchen Umständen auch immer – und manche Umstände sind schlimm – die Sexualität ist auch größer als wir alle. Und doch kann man über sie schreiben, reden, philosophieren. Ist es vielleicht deshalb, weil das Schicksal etwas Göttliches oder etwas Heiliges wäre, wo jeder Versuch sich dem schreibend anzunähern, von vornherein Selbstüberhebung wäre? Auch das ist nicht Grund.

Der Grund ist ein anderer. Wenn man über das Schicksal schreiben will, könnte es sein, ehe man sich versieht, hat man vielleicht ganz Bibliotheken vollgeschrieben und Jahrzehnte damit verbracht – und hat doch nicht genug geschrieben. Und paradoxerweise gilt das Gegenteil aber auch. Man schreibt (oder sagt) nur ein oder zwei Sätze über das Schicksal – und selbst das ist schon zu viel und geht am eigentlichen Thema vorbei.

Ich schreibe also hier über das Schicksal und beginne mit der Aussage, dass es gar nicht möglich ist. In diesem Beitrag löse ich den Widerspruch, in dem ich eigentlich gar nicht über das Schicksal „an sich“ schreiben, sondern nur über zwei Aspekte, die vage etwas mit diesem Thema „Schicksal“ zu tun haben.
Bei Familienaufstellungen haben wir es oft mit schweren Schicksalen zu tun, diese mysteriöse Kraft wirkt hier, oft im Verborgenen mit Wirkungen auf die Nachgeborenen. Ich frage mitunter zu einem Anliegen: „Ist etwas Besonderes, etwas von schicksalhafter Qualität, in deiner Herkunftsfamilie vorgefallen? So weit du davon weißt?“. Die folgenden zwei Gedanken, die ich hier teilen möchte, speisen sich aus dem Umgang mit den Wirkungen von Schicksal in Familiensystemen. Ich schreibe hier also nicht über das Schicksal selber – was immer das auch sein mag – sondern über Wirkungen von schicksalhaften Ereignissen.

Die Schicksalsschläge – Das Schicksal als Negativum

Wenn wir an Schicksal denken, dann denken wir meist an die sog. Schicksalsschläge, die schweren Schicksale. Wir denken an bestimmte Behinderungen oder Beeinträchtigungen, mit denen Menschen vielleicht geboren werden oder durch Unfälle erleiden. Wir denken an schwere Erkrankungen, an früh verstorbene Kinder, an Verluste von Besitz und Heimat durch Krieg oder ethnische Konflikte. Wir bezeichnen solche Ereignisse als Schicksal, wenn sie uns ereilen, ohne dass wir sie durch unser Verhalten, durch größer Vorsicht oder Umsicht oder durch geeignete Lebensführung hätten vermeiden können.

Aber es gibt natürlich auch das Gegenteil: Ohne dass wir es unserer Leistung zuschreiben können, werden wir vielleicht von solchen Schicksalsschlägen verschont. Wir werden vielleicht in Zeiten und Umstände hineingeboren, die uns vor existenziellem Mangel bewahren. Wir überstehen gefährliche Situationen unbeschadet durch glückliche Umstände, die leicht hätten anders ausgehen können. Wir treffen vielleicht bei wichtigen Vorhaben durch Zufall genau die richtigen Menschen zur rechten Zeit, die unserem Wollen zum Erfolg verhelfen. Wir nennen das dann vielleicht nicht Schicksal, sondern etwa eine glückliche Fügung oder Glück oder schlicht Gnade. Aber es ist dieselbe Macht, dieselbe überpersönliche Kraft, die hier wirkt.

Das Schicksal als Gestalt

Manchmal ist es hilfreich, sich das Schicksal als Gestalt vorzustellen, wie eine Person, aber eine Person, die sehr viel größer ist als jeder Mensch. In Aufstellungen stelle ich manchmal auch das Schicksal auf, aber dann stelle ich die Person als Stellvertreter auf einen Stuhl, so dass diese Gestalt alle anderen Stellvertreter überragt.

Die Mythen und Legenden der verschiedenen Völker und Kulturen künden von etwas Ähnlichem. Auch hier stellt man sich das Schicksal oft als Götter oder Göttinnen vor, gibt dem Schicksal somit ein Antlitz, ohne ihm damit sein Mysterium zu nehmen. Was ist der Vorteil von einer solchen Vorstellung? Wir können dann das Schicksal im Inneren ansehen und wir können das Schicksal auch innerlich ansprechen. Im Fall von schweren Schicksalen können wir zum Beispiel mit unserer Wut, mit unserer Verzweiflung, mit unserer Hilflosigkeit, mit unseren Klagen uns an das Schicksal wenden. Wir können das Schicksal dann auch beschimpfen, wir können ihm mit der Faust drohen, wir können es anschreien und sagen „das ist nicht gerecht“. All dies können wir tun und all dies kann hilfreich sein in der Verarbeitung von Schicksalsschlägen, die in bestimmten Phasen verläuft.

Nur eines können wir auch dann nicht tun: Das Schicksal wenden!

Letzten Endes, am Ende der Verarbeitung eines Schicksalsschlages, bleibt nur eins zu tun gegenüber dem Schicksal: Sich vor ihm zu verneigen. Dann werde ich innerlich ruhig. Aber das ist der Endpunkt einer Auseinandersetzung mit dem Schicksal, niemals sein Anfang.
Aber auch vor der anderen Seite des Schicksals, den glücklichen Fügungen in unserem Leben, könnten wir uns – gelegentlich – verneigen. Das wäre eine Übung in Dankbarkeit.

Letzen Endes ist dies aber vielleicht der Einzige Satz, den man sinnvoll über das Schicksal schreiben kann: Am Ende bleibt nur, sich zu verneigen.