Wenn Aufstellungen scheitern – und manchmal gute Folgen haben

Ich habe kürzlich eine Geschichte gehört von einem Aufstellerkollegen, wie er zur Aufstellungsarbeit gekommen ist. Er war gerade frisch Vater eines Sohnes geworden und stellte fest, dass er Schwierigkeiten hatte, wirklich eine Beziehung zu diesem Baby, seinem Sohn, aufzunehmen. Er konnte sich diese Blockade nicht erklären, sie hat ihn umgetrieben und dann hörte er von der damals noch recht neuen Methode der Familienaufstellung und er meldete sich zu einem Wochenendseminar an.

Als er an der Reihe war mit seiner Aufstellung, ging es sehr schnell um das Verhältnis zu seinem Vater. Der Aufstellungsleiter stellte ihn dann seinem Vater gegenüber und forderte ihn auf, sich vor seinem Vater zu verneigen. Er aber spürte in sich einen Widerwillen dagegen und sagte, es wäre doch mindestens genau so richtig, wenn sein Vater sich vor ihm verneige. Daraufhin brach der Aufstellungsleiter – offenbar recht brüsk – die Aufstellung ab mit den Worten, er solle sich wieder setzten, er hätte seine Chance verspielt.

Diese Intervention war, natürlich, ein Schock. Der Mann, von dem ich spreche, fuhr an diesem Abend nach Hause mit einer ziemlichen Wut auf den Aufstellungsleiter und die Methode und dem Gedanken, dass Familienaufstellungen ein ziemlich nutzloser Unfug sind. Er schlief dann in dieser Nacht unruhig. Am nächsten Morgen schaute er seinen Sohn an nach dem Aufwachen und empfand intensiv die väterlichen Gefühle der Liebe seinem Sohn gegenüber, die er vorher an sich nicht feststellen konnte. Und sein Gedanke dazu in dieser Situation war: „Ich stehe in der Mitte. Meinem Vater gegenüber bin ich der Kleine und meinem Sohn gegenüber bin ich der Große“. Dieser Gedanke überfiel ihn eher, als das er ihn aktiv dachte, er kam wie aus dem Nichts.
Und doch war es diese klare Erkenntnis darüber, wo er steht in der Reihe, von wem er das Leben empfangen hat und an wen er es weitergegeben hat, die es ihm zum ersten mal erlaubte, sich wirklich als Vater zu fühlen, diese Rolle innerlich anzunehmen und auszufüllen.

Wenn man diese Geschichte betrachtet, dann scheint es hier so zu sein, als ob die wesentliche Botschaft, welche in der Aufstellung hätte vermittelt werden sollen, sich trotz des kompletten Scheiterns der Aufstellung irgendwie in der Psyche und Seele lebendig und wirksam wurde. Die Botschaft könnte man vielleicht beschreiben als: „Ich stehe in einer Linie der Weitergabe des Lebens. Über die Dankbarkeit für das Empfangen des eigenen Lebens über meine Eltern, eben auch über den Vater, als großes Geschenk kann ich das große Geschenk sehen, selber das Leben weitergeben zu dürfen und mit um diesen kleinen Menschen als Vater zu kümmern und für sein Wohlergehen zu sorgen.“
In diesem Fall hat, so wirkt es zumindest, die Aufstellung durch ihr Scheitern, den Abbruch der Aufstellung und das Gefühl der Kränkung hindurch etwas in der Seele ausgelöst, was unterschwellig weiter gearbeitet hat in Richtung der Lösung, die in der Aufstellung nicht vollzogen werden konnte. Der Same war gesetzt in der Seele und er ging auf, er wirkte auf einer unterschwelligen Ebene, während die Oberfläche des Bewusstseins mit dem Fehlschlag und dem Ablehnen der Methode beschäftigt war.

Das Beispiel illustriert, dass die seelische Bewegung auch nach einer Aufstellung oft weiter geht. Und diese seelische Bewegung sucht sich eine Lösung, welche die betroffene Person vielleicht erst später als plötzliche Einsicht überfällt.

Ist das immer so, dass auch gescheiterte Aufstellungen eine segensreiche Wirkung entfalten? Wahrscheinlich nicht. Aber manchmal kommt es vor. Es soll an dieser Stelle auch nicht geleugnet werden, dass Leiterinnen oder Leiter von Aufstellungen Fehler machen können, weshalb eine Aufstellung misslingen kann und damit den Personen, welche ihr Anliegen aufstellen, nicht wirklich geholfen wird. Es wäre irrig, diese kleine Episode als Beleg dafür zu nehmen, dass es egal sei, welche Interventionen die Leitung einer Aufstellung setzt und aus welcher inneren Haltung heraus. Die Episode belegt aber, dass die Seele über eine große Autonomie verfügt, wie sie mit Erlebnissen in einer Aufstellung weiter arbeitet. Dies steht nicht in der Verfügungsmacht der Leitung einer Aufstellung oder des Bewusstseins der Person mit dem Anliegen. Und das ist auch gut so, möchte ich anfügen.

In meiner Erfahrung in der Leitung von Aufstellungen habe ich bislang drei Muster des Scheiterns einer Aufstellung ausmachen können, die ich kurz beschreiben möchte.

„Ich kann diesen Weg NOCH nicht gehen“

Ich erinnere mich an eine Aufstellung, bei der es beim Protagonisten auch um die Annäherung, die Heilung der „unterbrochenen Hinbewegung“ zum eigenen Vater ging. Über den Stellvertreter in der Aufstellung war dieser Weg vorgebahnt, es zeigte sich beim Stellvertreter, dass die Annahme des Vaters als Vater die Lösung das Problem wäre, aufgrund dessen die Aufstellung gemacht wurde. Als der Stellvertreter gegen den eigentlichen Protagonisten ausgetauscht wurde, konnte dieser den Weg nicht gehen. Genauer: Er konnte ihn nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen, danach ging es nicht weiter, der Widerstand war zu groß. Der Protagonist sagte dazu: „Ich kann diesen Weg noch nicht gehen“. Ich habe dabei sehr stark das Wort „noch“ in dem Satz herausgehört. Ich habe die Aufstellung an dieser Stelle beendet mit dem Satz: „Ich vertraue dich deiner guten Seele an.“ Mein Gefühl war: Der Weg zur Lösung ist deutlich geworden, es nur im Moment noch nicht der Zeitpunkt für den inneren Vollzug.

Das wäre so ähnlich wie in der eingangs erzählten Begebenheit. Mein Eindruck war: Hier arbeitet jetzt etwas innerlich weiter und es darf nicht darum gehen, ein bestimmtes Ergebnis in einer bestimmten Zeit erzwingen zu wollen. Ob die innere seelische Bewegung in einem Monat, in einem Jahr oder sogar am nächsten Tag schon zu ihrem Ziel gelangt, ist unerheblich. Wichtig war nur – in diesem Fall – dass der Same gesät ist, und dies war deutlich zu spüren. Danach zieht man sich als Aufstellungsleiter am Besten von diesem Prozess zurück.

Die Ablehnung der Lösung

In einem anderen Fall, auch hier ging es um Annäherung, diesmal an die Mutter, war es zunächst ähnlich. Durch die Stellvertreterin wurde der Weg zur Lösung deutlich. Die Protagonistin aber lehnte den Vollzug der Lösung für sich ab. Sie tat es aber mit einem jammernden Tonfall mit der Bedeutung: „Dies kann man mir nicht zumuten.“

Auch hier war an dieser Stelle die Aufstellung beendet und gescheitert. Mein Gefühl dazu war aber: Hier wird sich in Bezug auf das Problem, weshalb diese Frau die Aufstellung gemacht hat, nichts ändern. Es bleibt alles so, wie es ist.

Aus meiner Sicht ist dies so als Aufstellungsleiter zu akzeptieren. Man sollte hier nicht mit gesteigerter Intensität versuchen, doch noch irgendwie – mit einem genialen Kniff oder so – zu einer „guten Lösung“ zu kommen. Das würde nur das Ego des Aufstellungsleiters befriedigen.

„Nein, ich WILL diesen Weg nicht gehen“

Es gibt noch eine andere Variante, die ich allerdings nur einmal erlebt habe, dort aber besonders eindrücklich. Auch hier war in der Aufstellung eine Lösung für ein bestimmtes Problem durch die Stellvertreter deutlich geworden. Die Protagonistin, nachdem sie für ihre Stellvertreterin in die Aufstellung eingewechselt wurde, ging dann auch zunächst einige Schritte in die Richtung der Lösung, allerdings zunehmen zögerlicher.

An einem bestimmten Punkt drehte sie um und sagte, klar und deutlich: „Nein, das mache ich nicht!“. Das wirklich beindruckende war dabei ihre Körpersprache. Bis dahin wirkte sich unsicher und schüchtern. Und hier stand sie nun, aufgerichtet zu ihrer vollen Größe und stand offensichtlich mit dieser Entscheidung voll in ihrer Kraft.

Es war, so wirkte es auf mich, eine klare Entscheidung, eine Entscheidung für etwas Größeres, dem sie mit dieser Entscheidung gegen die Lösung treu blieb. Und die unterschwellige Aussage war: „Wenn diese Entscheidung bedeutet, dass ich weiter mit dem Problem zu tun habe, weswegen ich hergekommen bin, dann soll es so sein. Ich nehme das billigend in Kauf.“ Und das ist eine ganz andere Haltung dem ursprünglichen Problem gegenüber als ein resignierendes „dann geht es eben so weiter.“
Wie gesagt: Mein Eindruck war, hier hat die Frau in ihrem Inneren etwas Größeres gefunden, dem sie verpflichtet ist und dem gegenüber ihr ursprüngliches Problem weniger bedeutsam ist, ja eigentlich die Qualität eines Problems verliert, sondern nur noch ein Umstand ist, mit dem ich umgehe, um einem anderen Zweck zu dienen.

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