Familienaufstellungen und die „Nachsorge“

Bei Familienaufstellungen geht es oft um sehr existentielle Themen, um Dinge, die im wahrsten Sinne mit Leben und Tod zu tun haben. Zumindest geht es fast immer auch um die Grundbedingung des Lebens, wer mich sozusagen ins Leben gerufen hat und bei wem ich diese Lebensreise begonnen habe, wo ich also meine frühesten Eindrücke und Prägungen erfahren habe.

Mitunter sind Menschen in einer Aufstellung emotional sehr bewegt. Dies kann auch dann passieren, wenn ich „nur“ als Stellvertreter an einer Aufstellung teilnehme, wenn es also gar nicht meine eigenen Themen geht. (Wobei man anmerken könnte: Da die Themen von Aufstellungen in den meisten Fälle allgemein menschliche Themen sind, gibt es oft eine gewisse Resonanz, auch wenn meine Umstände etwas anders gelagert sind.) Aber besonders bei den Personen, für die eine Aufstellung gemacht wird, kann es emotional sehr intensiv sein.

Es kommt daher mitunter eine Frage auf, die mir als Leiter von Familienaufstellungen schon gelegentlich gestellt wurde: Was passiert, wenn die Erlebnisse in einer Aufstellung emotional zu überwältigend sind? Wenn in einer Person etwas innerlich angerührt wird, was sie nicht verarbeiten kann? Wie kann so etwas aufgefangen werden und gibt es die Möglichkeit, sich hier im Nachgang einer Aufstellung noch weiter unterstützen zu lassen.

In eine ähnliche Richtung geht auch eine Kritik an der Methode der Familienaufstellung, die mitunter geäußert wird. Die Methode sei sogar gefährlich sei, weil insbesondere bei labilen Personen Zustände ausgelöst werden können, die dann nicht aufgefangen werden können bzw. mit denen die Klienten dann alleine gelassen werden. Es könne vorkommen – so die Kritik – dass es Menschen nach einer Familienaufstellung schlechter gehe als vorher.

Ich selber handhabe es so, dass ich (fast möchte ich sagen: natürlich) zur Verfügung stehe, falls jemand im Nachgang zu einer Familienaufstellung einen Beratungs- oder Unterstützungsbedarf hat.         
Auf der anderen Seite habe ich es selten erlebt, dass ein solcher Bedarf entsteht durch eine Familienaufstellung. Nicht, dass es gar nicht vorkäme, aber doch relativ selten. Die Tatsache, dass jemand emotional sehr bewegt ist in einer Aufstellung, heißt auch nicht zwingend, dass hier das Verarbeitungsvermögen der Person überfordert wäre.

Andererseits will ich weder die Befürchtung, die vielleicht mitunter gehegt wird noch die erwähnte generelle Kritik an der Methode hier auf die leichte Schulter nehmen. Ja, es kann vorkommen, dass der Verlauf einer Familienaufstellung eine Person in ihrer emotionalen Regulation überfordert. Und es kommt sicherlich auch vor, dass die Leitung einer Aufstellung nicht genügend umsichtig und nicht mit dem nötigen Einfühlungsvermögen erfolgt.

Warum verläuft es in den meisten Fällen gut?

Ich will hier einige Gedanken und Eindrücke anbringen, die vielleicht ein wenig erklären mögen, warum die mitunter befürchtete Überforderung durch das, was sich in einer Aufstellung zeigt, meist nicht eintritt.

Einerseits wäre hier zu erwähnen, dass eine starke emotionale Bewegung in einer Aufstellung, wenn es etwa zu heftigem Weinen oder Schluchzen kommt, nicht bedeuten muss, dass eine Person, welche solche starken emotionalen Bewegungen erfährt, in diesem verloren geht. Nach meinem Eindruck ist es in den allermeisten Fällen eher so, dass die Vermeidung eines emotional-berührt-Seins eher ein Problem aufrecht erhält. Dagegen ist das Durchgehen durch eine heftige Emotion tendenziell eher die Lösung. Nach dem Durchleben stellt sich oft eine gewisse Klarheit ein, mitunter auch ein innerer Friede. Aber natürlich nur unter der Voraussetzung, dass die Person, welche diese Gefühlslandschaften durchschreitet, sich dabei unterstützt und angenommen fühlt in der Begleitung. Was die heftigen Emotionen angeht, könnte man vielleicht sagen (so als Grundregel): Der Weg hindurch ist der Weg hinaus.

Aber noch etwas anderes spielt hier eine Rolle, was etwas schwerer greifbar ist. Wir sprechen ja im Rahmen der Familienaufstellungen oft von einem „wissenden Feld“. Dieses Informationsfeld, welches zwar spürbar, aber schwer zu beschreiben ist, entsteht durch die Aufstellung von Personen und Stellvertretern im Raum. Manchmal braucht es ein paar Minuten, bis sich das Feld entwickelt. Wenn sich das Feld aber einmal entwickelt hat, treibt dieses „wissende Feld“ die Entwicklung der Aufstellung voran. Nicht selten entwickelt sich eine Aufstellung dann in eine Richtung, die man vorher nicht vermuten oder sich vorstellen könnte.

Mir scheint es nun so zu sein, wenn man sich den Hinweisen aus diesem „wissenden Feld“ überlässt und seinen Hinweisen folgt, dann wird man geführt. Man wird geführt von einer größeren Intelligenz, die viel besser darum weiß, was gerade im Moment wichtig ist aber eben auch, wie viel einer Person zumutbar ist. Man könnte auch sagen: Hier wirkt eine Weisheit, die wir nicht wirklich erklären können. Wenn wir es schaffen, uns dem Feld und den Hinweisen, die aus dem Feld kommen, ganz zu überlassen, dann sorgt das Feld auch für eine Sicherheit. Dazu muss man allerdings seine Vorstellungen und Annahmen und manchmal auch seine Vorurteile für die Aufstellung hinten anstellen und stattdessen wach und aufmerksam auf die Hinweise auf dem Feld achten.

Dies gilt natürlich zuallererst für die Leitung der Aufstellung. Hier bedarf es der Bereitschaft, sich auch in der Leitung dem Prozess anzuvertrauen – ohne zu wissen, worauf es hinauslaufen wird.         
Wenn dies gelingt, werden alle Beteiligten geführt von einer Weisheit, die um die Grenzen des gerade Möglichen weiß und diese Grenzen nicht überschreitet.

Mir scheint, gefährlich kann es dann werden, wenn jemand – insbesondere in der Rolle der Leitung einer Aufstellung – etwas Bestimmtes unbedingt erreichen möchte. Dann, so mein Eindruck, verweigert sich das „wissende Feld“.

Anmerkung für die Leser / Leserinnen des letzten Blogbeitrages

Ich hatte im letzten Blogbeitrag in sehr allgemeiner Form über Archetypen in einer Aufstellung geschrieben. Ich hatte dort angekündigt, dass ich in den 12 Monaten des Jahres 2025 jeweils einen Beitrag zu einem der 12 großen Archetypen schreiben würde. Gemäß dieser Ankündigung wäre dieser Januar-Beitrag dann dem ersten Archetyp gewidmet.

Eine Kollegin hat mich allerdings – sehr zu recht, wie mir dann auffiel – darauf hingewiesen, dass die 12 Archetypen einen Zyklus aufweisen, der mit der Jahreszyklik korrespondiert. Und diese Jahreszyklik, um die es hier geht, beginnt nicht mit dem 1. Januar eines Jahres, sondern mit dem Frühlingsbeginn im März.

Ich habe mich daher entschieden, die Serie von 12 Blogbeiträgen zu den 12 großen Archetypen in der menschlichen Seele erst im März beginnen zu lassen, also mit dem übernächsten Blog-Beitrag. Dadurch ergeben sich die Beschreibungen der 12 Archetypen passend zu der damit korrespondierenden Jahreszeit.

Unpersönliche Gestalten in einer Aufstellung: Was sonst noch seelische Bedeutung hat oder haben kann

In den letzten drei Beiträgen hier im Blog ging es um Gestaltungen und Gestalten, die mitunter in einer Aufstellung als Positionen mit Stellvertretern besetzt werden, bei denen es sich aber nicht um konkrete Menschen handelt, die leben oder gelebt haben. Im Blogartikel im Juli 2024 ging es dabei um Heimatländer, im August um Krankheiten oder Symptome und im September um Häuser, Wohnungen oder auch Betriebsgebäude. In diesem Beitrag soll dieses Thema noch einmal aufgegriffen werden. Einerseits dadurch, dass noch einige weitere Gegebenheiten aufgeführt werden, die man manchmal mit aufstellen muss. Aber es soll auch beschrieben werden, soweit das möglich ist, wann solche Gestalten, welche nicht reale Personen/Menschen repräsentieren, überhaupt für eine Aufstellung in Frage kommen.

Weitere unpersönliche Gestalten in einer Aufstellung

Das Feld von möglichen unpersönlichen Gestalten, die manchmal in einer Aufstellung vorkommen können oder gar vorkommen müssen, ist recht mannigfaltig. Es soll daher nur aufzählend Einiges kurz benannt werden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne auf die Einzelheiten näher einzugehen. Es soll lediglich das mögliche Spektrum zu angedeutet werden.

Es kann z.B. sein, dass es bei einem Anliegen notwendig oder sinnvoll ist, ein kreatives Werk wie vielleicht ein Buch, ein Gemälde oder vielleicht auch ein Drehbuch für ein Filmprojekt aufzustellen. Bei manchen Themen kann es sich als hilfreich erweisen, so etwas wie verschieden innere Anteile, sozusagen das „innere Team“ von Teilpersönlichkeiten, aufzustellen. Bei beruflichen Themen kann es sein, dass verschiedene Arbeitsfelder aufgestellt werden.     
Wenn Menschen beruflich in „ideologischen Organisationen“ tätig sind, dann ist es oft notwendig, auch diese Organisation oder deren Zweck mit aufzustellen. Mit „ideologischen Organisationen“ meine ich Organisationen, deren Zweck in erster Linie in der Beförderung einer bestimmten Idee oder Weltsicht besteht, also in einem geistigen Inhalt. Hier wäre z.B. an politische Parteien, Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, Tierschutzvereinigungen aber vor Allem an religiöse Organisationen wie Kirchen zu denken.   
Manchmal müssen auch bestimmte Instanzen von politischen Systemen aufgestellt werden wie etwa die Gestapo in der Zeit des Nationalsozialismus. Auch bei bestimmten ehrenamtlichen Tätigkeiten kann es sein, dass man diese Tätigkeit oder deren Zweck oder die Menschengruppe, denen diese ehrenamtliche Tätigkeit dient, aufstellen muss. Als letztes Beispiel sei hier angeführt, dass in machen Fällen vielleicht auch ein Haustier aufgestellt werden kann oder muss.

Spezielle Aufstellungsformate

Bislang ging es um nicht menschliche (unpersönliche) Stellvertreterpositionen in einer sozusagen „normalen“ Aufstellung. Ein Mensch schildert ein Anliegen, eine seelische Problematik, eine Verstrickung und mittels der Aufstellung sollen die seelischen Kräfte und Bewegungen dahinter sich zeigen können und einer Lösung zugeführt werden. Und da kann es eben sein, dass man Personen aus dem Familiensystem aufstellt und zusätzlich, weil es eben in dem Fall relevant ist, vielleicht noch das Herkunftsland eines Elternteiles oder den Familienbetrieb, den der Vater in der vierten Generation geführt hat und der dann Pleite gegangen ist – oder was auch immer es im Einzelfall ist. Hier werden also sowohl reale Personen wie auch etwas Unpersönliches oder Überpersönliches aufgestellt.

Es haben sich aber inzwischen auch einige Aufstellungsformen oder Austellungsformate entwickelt, bei denen man ausschließlich etwas unpersönliches oder abstraktes aufstellt, wo also keiner der Stellvertreter für eine konkrete Person steht. Bei Zielaufstellungen wird die Situation adressieren, dass bestimmte Ziele immer wieder verfehlt werden, obwohl alle Voraussetzungen für die Zielerreichung vorliegen und es sich sachlogisch nicht erklären lässt. Hier stellt man dann etwa das Ziel auf zusammen mit Blockaden, Ressourcen und auch die hinter dem Ziel liegende Aufgabe, welche sich mit dem Erreichen des Zieles stellt. Bei einer schwerwiegenden Entscheidung, bei der die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten nicht getroffen werden kann (Entscheidungsdilemma), kann der blockierte Entscheidungsprozess mit einer sog. Tetralemma-Aufstellung eine neue Sichtweise erfahren und somit wieder in den Fluss kommen. Im Rahmen von Organisationsaufstellungen werden meist Abteilungen oder Organisationseinheiten oder Funktionen aufgestellt und durch Stellvertreter vertreten, aber auch die Produkte oder die Kunden. Dies alles wären Aufstellungsformen, bei denen ausschließlich abstrakte Positionen aufgestellt werden und keine natürlichen Personen.

Woran entscheidet sich, ob etwas für eine Aufstellung geeignet ist?

Man könnte jetzt vielleicht auf den Gedanken verfallen, dass eigentlich ja fast alles irgendwie aufgestellt werden könnte. Das ist auch nicht ganz falsch. Aber in einer Aufstellung geht es ja um seelische Bewegungen und Dynamiken. Etwas Un- oder Überpersönliches würde man nur dann aufstellen, wenn es für die jeweilige Person und das vorliegende Anliegen/Thema dieser Person auch von seelischer Bedeutung ist, wenn es in diesem Kontext ein seelisches Gewicht hat. Man könnte vielleicht auch sagen: Wenn diese unpersönliche oder überpersönliche Gestalt wesentlich zu dem größeren Feld gehört, durch welches die Klientin oder der Klient geführt wird. Oder noch anders gesagt, wenn die unpersönliche Gestalt, die wir durch eine Stellvertreterperson ins Feld der Aufstellung einführen und die wir über die stellvertretende Wahrnehmung in Form von Gefühlen und Intentionen sprechen lassen, im Kontext eines schicksalhaften Geschehens steht.

Im Gegenzug kann man sagen, wenn eine eher abstrakte Position in einer Aufstellung durch Stellvertreter verkörpert wird und das seelische Gewicht dabei aber fehlt, die Aufstellung oft oberflächlich bleibt, keine Tiefe gewinnt und sich irgendwie „schal“ anfühlt. Meist ist dann die Motivation beim Aufstellen genau dieser Thematik oder dieser Gestalten ein eher intellektuell gelagertes Interesse. Man möchte mal wissen, was es da alles vielleicht noch für Zusammenhänge gibt, aber ohne wirkliche Bedeutung für die eigene Lebensführung, ohne eine wirkliche seelische Not, welche eine Aufstellung „not-wendig“ machen würde. Mein Eindruck von solchen Aufstellungen ist, dass sich hier das seelische Feld verweigert. Die Informationen über die Stellvertreter kommen dann eher aus dem Verstand, aus irgendwelchen Gedanken oder Vorstellungen, welche sich die Stellvertreter machen. Es haftet der Aufstellung etwas Oberflächliches und Beliebiges an.

Wie kann man nun entscheiden, ob und wenn ja welche unpersönlichen Positionen in eine Aufstellung eingeführt werden sollten? Nach meinem Eindruck gibt es da keine wirkliche Regel, es gibt hier auch kein Sachwissen, an das man sich halten könnte. Mir erscheint es so: Wenn ich als Aufstellungsleiter mir das Anliegen schildern lasse, lausche und spüre ich in das Gesagte hinein, möglichst ohne jegliche Vorannahme. Vor allem ohne die Vorannahme, dass ich, nur weil mir jemand ein Anliegen benennt und etwas über die Hintergründe dabei sagt, irgendetwas wirklich davon verstehen würde. Aus dieser Haltung des Nichtwissens, aus der Haltung der möglichst vollständigen Leere und Unvoreingenommenheit, soweit mir das möglich ist, ergibt sich dann Etwas. Irgendetwas erreicht mich, vielleicht bei einem bestimmten gesagten Wort oder einem bestimmten Satzteil und es ist wie wenn in mir ein Ton erklingt, eine kleine Glocke angeschlagen wird. Und dann weiß ich: Dies hier ist wichtig, dies sollten wir aufstellen. Aber ich weiß nicht, woher ich das weiß. Ich könnte das nicht begründen. Ich weiß nur: Es kommt nicht von mir. Es kommt aus dem, was wir in der Aufstellungsarbeit das „wissende Feld“ nennen. Und was das genau ist, bleibt allen Beschreibungsversuchen zu Trotz, ein Mysterium.

Eine noch ganz andere Art von überpersönlichen Gestalten

Abschließend möchte ich noch eine ganz andere Art von solchen überpersönlichen Gestalten anführen, die ich manchmal in Aufstellungen über Stellvertreter sich ausdrücken lasse: Die Archetypen. Davon soll in zukünftigen Beiträgen die Rede sein.         
Hier nur so viel: Archetypen sind ganz alte, archaische Urbilder für seelische Kräfte, Impulse und Intentionen. Sie gehören zum kollektiven Unbewussten der Menschheitsfamilie, zur kompletten Menschheitsgeschichte mit ihren unterschiedlichsten Kulturen. Die Archetypen leben in jedem Menschen, in jeder Seele, allerdings in unterschiedlichen Gewichtungen. Und sie sind groß! Größer als jeder einzelne von uns.