Die drei Säulen der Paarbeziehung

Dieser Blog-Beitrag schließt an den Beitrag vom letzten Monat an, bei dem es um das Gelingen von langfristigen Paar-Beziehungen ging. In diesem Beitrag soll die Paarbeziehung unter einem anderen Aspekt beleuchtet werden. Nämlich mit der Frage, was macht eigentlich eine Paarbeziehung aus? Was muss vorhanden sein bzw. ab wann kann man nicht mehr von einer Paarbeziehung sprechen, weil offensichtlich die wesentlichen Grundlagen fehlen?

Eine Sichtweise, die ich hier vorstellen möchte, ist: Die Paarbeziehung ruht –idealerweise möchte man einschränkend sagen – auf drei Säulen. Die drei Säulen sind:

  1. Eine gemeinsame Sexualität
  2. Ein tiefes wechselseitiges Wohlwollen – im ursprünglichsten Sinn des Wortes
  3. Das zusammen Leben, die gemeinsame Meisterung des Alltags

Nicht alle drei Säulen müssen gleich stark die Statik der Paarbeziehung tragen. Es müssen für eine Paarbeziehung nicht einmal alle drei Säulen wirklich gelebt werden. Auch lediglich zwei davon oder evtl. sogar nur eine kann eine Paarbeziehung begründen. Eindeutig ist jedoch: Wenn es keine dieser drei Säulen gibt, gibt es auch keine Paarbeziehung.

Säule 1: Die gemeinsame Sexualität

Es mag für manche Leserinnen oder Leser überraschend sein, dass hier die Sexualität zuerst genannt wird. Der Grund ist dafür ist einfach: Hier haben wir es mit der größten Herausforderung zu tun. Die Sexualität ist eine starke Kraft. Und sie ist groß, viel größer als die beteiligten Individuen, die sich auf eine sexuelle Begegnung einlassen. Und weil sie größer ist als wir, ist sie nicht vollständig kontrollierbar oder einhegbar. In der sexuellen Dynamik gibt es immer zumindest Aspekt, wo wir ausgeliefert sind und die immer wieder neu ein Wagnis sind und bleibt. Und um gleich noch eine kleine Irritation setzen: Die Sexualität ist größer als die Liebe! Warum? Die Sexualität kann neues Leben erzeugen. Die Liebe alleine kann das nicht. (Sexualität alleine, ohne Liebe, dagegen schon.)

Eine wirklich dauerhaft gelebte gemeinsame Sexualität hat daher das Potential, der Paarbeziehung eine besondere Tiefe zu geben. Eine Tiefe, die mit den beiden anderen Säulen alleine nicht zu erreichen ist.
Gleichzeitig liegt in dieser Ur-Kraft mit ihrem Eigenwillen ebenso das größte Potential für Missverständnisse, Kränkungen und Zerwürfnisse.

Säule 2: Tiefes, wechselseitiges Wohlwollen

Das Wort Wohlwollen beschreibt, worum es hier geht. Wenn vorhanden, wollen wir dass es dem anderen Menschen, mit dem wir ein Paar bilden, wohl ergeht. Und wir wollen unseren Teil dazu beitragen. Dieses Beitragen zum Wohlergehen der anderen Person wird als befriedigend, ja als Glück erlebt.

Wenn dieses Wohlwollen besteht, gibt es keinen Platz für Missgunst, Neid oder Eifersucht. Ebenso wenig ist dann Platz für Bestrebungen, die Partnerin oder den Partner nach meinen eigenen Wünschen verändern zu wollen. An der Abwesenheit dieser Impulse kann erkannt werden, ob und in wie weit dieses Wohlwollen besteht.

Diese zweite Säule hat viel zu tun mit dem bedingungslosen, dem „großen“ JA zum Anderen, so wie die andere Person ist und mit allem was zu ihr gehört und ohne Abstriche oder Einschränkungen, das im Blog-Beitrag vom letzten Monat angesprochen wurde.

Säule 3: Zusammen Leben

Diese letzte Säule ist die vielleicht am meisten unterschätzte in der Paarbeziehung. Die Meisterung des gemeinsamen Alltags von zwei Menschen mit unterschiedlichen Gewohnheiten und Präferenzen gerade in den Kleinigkeiten des Alltags ist eine eigenständige Leistung des Paares, die häufig nicht also solche gesehen und gewürdigt wird.

Deutlich wird dies oft im Krisen- oder Konfliktfall, in dem die Unterschiede in der Alltagsbewältigung zu Kristallisationskernen für Streit und Vorwürfe werden. Man könnte sagen, dass diese dritte Säule in ihrer Bedeutung erst dann wirklich wahrgenommen wird, wenn sie beschädigt ist.

Wo aber bleibt die Liebe?

Wenn du, liebe Leserin oder Leser, bis hier gedanklich gefolgt bist, dann magst du dich fragen: Warum war bislang wenig von Liebe die Rede? Nun, eigentlich war die ganze Zeit von Liebe die Rede, nur das Wort fiel kaum. Einerseits, weil das Wort Liebe höchst unterschiedliche Vorstellungen und Assoziationen auslöst. Viele dieser Vorstellung sind dann doch arg „verrosamundet“ und „verpilchert“, um es einmal flapsig auszudrücken. Und dafür ist das Thema eigentlich zu ernst und zu gewichtig.

Eine Annäherung wäre möglich über die Wurzel unserer Kultur, die im griechischen Altertum liegt. Dort gibt es für das, was wir im Deutschen einheitlich unter „Liebe“ fassen, drei Worte, nämlich

  • Eros
  • Agape
  • Philia

Eros meint die körperliche Liebe und die damit verbundene körperliche Anziehung. Eros zielt natürlich auf die Triebkraft der Sexualität, geht jedoch noch etwas darüber hinaus. Die erotische Schwingung als Energie kann durchaus auch ohne sexuellen Vollzug bestehen, steht aber natürlich schon im Kraftfeld der Sexualität.

Agape meint dagegen die seelische Dimension der Liebe. Agape ist die selbstlose, bedingungslose, erwartungsfreie Liebe, die sich dann eben im Wohlwollen, im Wollen des Wohlergehens des Anderen, ausdrückt.

Philia ist die geistige Liebe, eine Liebe, die sich von gemeinsamen Interessen, Lebensvorstellungen, Anschauungen, Aufgaben und Zielen nährt. Sie hat die Besonderheit, dass hier zusätzlich zu den beiden beteiligten Menschen noch etwas Drittes im Spiel ist, eine Sache, etwas im „Außen“, auf das hin die Energien der beiden Menschen gerichtet sind. Man könnte dies oft auch als „Sorge“ für etwas beschreiben. (Wir sorgen gemeinsam für eine saubere und wohnliche Umgebung oder für wohlschmeckende Mahlzeiten.)

Wenn wir also dieser Dreiteilung der Liebe im klassisch griechischem Sinne folgen, dann erkennten wir unschwer die Zuordnung der drei Arten der Liebe zu den drei Säulen der Paarbeziehung: Die erste Säule ist Liebe als Eros, die zweite Liebe als Agape und die dritte Säule Liebe als Philia. In diesem Sinn war die ganze Zeit von Liebe die Rede, ohne das (deutsche) Wort zu nutzen.

Ein, zwei oder drei Säulen?

Eingangs hatte ich behauptet, dass für eine stabile Paarbeziehung zwei der Säulen oder gar nur eine durchaus ausreichen (können). Man könnte nun meinen, dass es doch aber schön wäre und zumindest anzustreben wäre, wenn in einer Paarbeziehung alle drei Säulen stabil gelebt werden. Und vielleicht ist das auch so. Ich weiß es nicht.

Mir zumindest geht es bei den drei Säulen nicht um ein normatives Modell oder die Beschreibung eines Idealzustandes. Betrachten wir daher, was wir in langjährigen Paarbeziehungen tatsächlich vorfinden (manchmal mehr, manchmal weniger gut „funktionierend“), dann sehen wir, dass alle denkbaren Kombinationen von zwei der drei Säulen als gelebte Wirklichkeit vorkommen. Und sogar nur eine der drei Säulen kommt real vor, und das gar nicht einmal so selten. Und der tatsächlich gelebten Realität ein „Sollte“ als Ideal entgegenzuhalten, ist meist ein fruchtloses Bemühen.

Für langjährige Paare, in deren Alltag nicht alle drei Säulen wirklich gelebt werden, stellt sich eher die Frage: Können wir gut damit leben? Mit der Form der Liebe, die bei uns als Paar präsent ist? Ist es genug? Ist es für beide Teile des Paares genug? Ist es für uns als Paar genug? Können wir das, was wir als Paar haben, wertschätzen, statt uns über das zu grämen, was wir nicht haben?
Nur, wenn die Antwort auf diese Fragen „nein“ lautet, dann ergibt sich ein Klärungsbedarf, Änderungsbedarf und vielleicht auch Trennungsbedarf.