Die Kraft, die aus der Zustimmung kommt

In Familienaufstellungen ist es ein immer wiederkehrendes Grundthema, dem eigenen Leben mit allem, was dazu gehört, zuzustimmen. Sehr häufig geht es dabei um die eigenen Eltern. Die Zustimmung zu den eigenen Eltern, genau so, wie sie sind oder waren, ohne irgendwelche Abstriche: Darin liegt fast immer eine besondere Kraft. Umgekehrt liegt in jedem Einwand, in jedem Beklagen, dass die eigenen Eltern leider nicht gut genug waren für mich (nicht liebevoll genug, nicht aufmerksam genug, nicht … was auch immer genug), eine Schwächung.

Dasselbe gilt auch für Besonderheiten des eigenen Schicksals. Wenn ich etwa mit einer Behinderung geboren bin oder sie durch einen Unfall erleide. Gleiches gilt für die soziale Schicht, in die man hinein geboren ist. Oder jegliche Ausprägungen meiner Körperform (meine schiefe Nase) oder meines Charakters und Temperaments (meine Neigung zu cholerischen Verhalten oder zur Unpünktlichkeit).

Aber bleiben wir noch einmal kurz bei den Eltern. Die Begründung für das Einverstanden-Sein mit den eigenen Eltern, so wie sie sind oder waren und ohne Abstriche lautet ja: Ohne sie wäre ich nicht! Ich verdanke Ihnen meine Existenz, mein Leben. Und dem gegenüber sind alle Einwände, die man haben mag, zweitrangig. Es ist auch so, dass ich mit der Ablehnung der Eltern oder eines Elternteils ja einen Teil von mir selbst ablehne. Das mag die Schwächung erklären, die ich in der Ablehnung der Eltern erleide.

Heißt dies nun, dass Vernachlässigung oder Missbrauch oder Misshandlung von Kindern durch die Eltern keine Rolle spielen? So wird es ja manchmal (miss)verstanden. Nein, die Umstände spielen schon eine Rolle. Aber gleichzeitig gibt es eben diese größte und tiefste aller Gaben: Das Leben selber. Und davon nehmen alle einschränkenden Umstände nichts fort.

Bislang ist das allerdings erst einmal nur eine Behauptung: In der Zustimmung zu dem, was ist, mit allem, was dazugehört, liegt eine besondere Kraft. Allerdings kann man die Behauptung überprüfen. Dazu muss man nur einmal beide Haltungen, die der Ablehnung und die der Zustimmung, nacheinander einnehmen.

Im ersten Fall stellen wir uns unsere Eltern vor, mit allem, was zu ihnen gehört und ihrem Schicksal. Und dann schauen wir gesammelt auf unsere Eltern und sagen innerlich: „Auch wenn es als Kind schwer für mich war …“ (und hier denken wir an die Einschränkungen, die es gab – dar verletzte innere Kind in uns will ja auch zu seinem Recht kommen) und fahren fort „… verdanke ich Euch mein Leben. Ohne Euch wäre ich nicht. Ihr seid genau die richtigen Eltern für mich.“

Im zwei Fall stellen wir uns innerlich vor unsere Eltern und sagen: „Ich habe unter Euch gelitten. Ihr habt mir nicht gegeben, was ich gebraucht hätte. Ich hätte andere Eltern als Euch haben müssen.“

Wichtig für diese Überprüfung ist, diese Sätze nicht nur mit dem Verstand zu sagen oder zu denken, sondern gleichzeitig auch wirklich und ernsthaft zu fühlen. Und nun kommt die Überprüfung. Bei welchem der beiden Szenarien fühlen wir uns mehr im Einklang mit dem Leben? Bei welchem werden wir enger, bei welchem weiter? Bei welchem sind wir mehr in unserer Kraft?

Nicht nur die Herkunft

Die eigene Herkunft mag besonders grundlegend sein bezüglich Zustimmung oder Ablehnung. Aber genau betrachtet wirkt dasselbe Prinzip auch bei vielen anderen Gegebenheiten, die wir in unserem Leben haben, aber lieber nicht hätten. Dies können bestimmte unangenehme Gefühle sein, Angewohnheiten, Eigenschaften oder auch so etwas wie persönliche „Ticks“ oder Süchte oder Krankheiten … oder … oder … oder.

Auch hier können wir überprüfen und vergleichen, wie wirken die innere Haltung der Zustimmung, des Ja-Sagens zu dem was ist, oder die innere Haltung der Verneinung und des Bekämpfens? Was macht und freier und was macht uns unfreier? Was lähmt uns und was macht uns handlungsfähig? Was bringt uns mehr in Einklang und was mehr in Missklang, in Dissonanz?

So könnte zum Beispiel ein Spielsüchtiger sich innerlich mit seiner Sucht konfrontieren und zur Sucht sagen: „Ich erkenne (ich anerkenne), dass du da bist. Es gibt dich. Ja: Ich bin spielsüchtig“. Und paradoxerweise ist dies meist der erste notwendige Schritt, wenn man sich von einer Sucht lösen will.
Oder wenn ich eine Angst habe, die mich einschränkt, dann kann ich zu meiner Angst sagen: „Ich schaue dich jetzt genau an und erkenne an, dass es dich gibt“. Und wenn dieser Satz wirklich genau so gemeint ist, dann ergibt sich meist die Möglichkeit, trotz Angst handlungsfähig zu bleiben. Wenn wir dagegen innerlich vor der Angst wegrennen und sagen, sie sollte eigentlich nicht da sein, sie sollte weggehen, dann hat sie uns erst richtig gepackt[1].

Man könnte es so sagen: Wenn wir den Dingen in unserem Leben, die wir nicht haben möchten, erst einmal vorbehaltlos zustimmen – dann erhalten wir meist ein wenig mehr Spielraum. Oder noch anders gesagt: Die Zustimmung nimmt einen Teil des Schreckens.

„Catch 22“ – eine Warnung bezüglich der Zustimmung

Im englischen Sprachraum gibt es ein geflügeltes Wort: „Catch 22“, zu Deutsch so viel wie „Falle 22“. Diese Redewendung geht auf den gleichnamigen Roman von Joseph Heller bzw. auf dessen Verfilmung zurück. Roman und Film handeln von einem Bomberschützen in einem Fluggeschwader der US Air Force im zweiten Weltkrieg, der keine Einsätze mehr fliegen möchte, weil er Angst hat.
Nun gibt es zwar theoretisch im Regelwerk des Militärs die Möglichkeit, keine Kampfeinsätze mehr fliegen zu müssen, wenn man z.B. geisteskrank („verrückt“) wäre. Der Flugarzt erklärt dann dem Romanhelden, der von den Kampfeinsätzen befreit werden will aufgrund seiner Angst: Verrückt ist, keine Angst vor dem Kampeinsatz zu haben. Wenn man also Angst vor dem Kampfeinsatz hat, zeigt das nur, dass man normal und damit flugtauglich ist. Wer aber so verrückt ist, keine Angst vor dem Kampfeinsatz zu haben und fliegen zu wollen, der wird natürlich auch keinen Antrag auf Befreiung vom Kampfeinsatz stellen.

„Catch 22“ beschreibt also eine paradoxe Situation. Und ein wenig ähnlich ist die „Falle 22“, die es bezüglich der Zustimmung zu unangenehmen oder unerwünschten Lebensumständen gibt. Wenn ich die Zustimmung zu einer Tatsache nur (innerlich) erteile, um dadurch das Unerwünschte los zu werden – dann ist es nur eine andere Form des „Neins“ zu diesem Unerwünschtem und damit wirkungslos.

Die Zustimmung muss also „ehrlich“ gemeint sein. In dem Sinne, dass ich anerkenne, was ist. „Ja“ dazu sage im Sinne von „Ja, so ist es jetzt“. Und ohne den Hintergedanken, dass es dadurch verschwände. Das wäre nur eine „taktische“, eine vordergründige Zustimmung. Man muss sich also von dem Zweckgedanken, ich stimme jetzt zu damit es weggeht, lösen. Die wäre keine Zustimmung, sondern eine verkleidete Ablehnung, eine Mogelpackung.

Zum Abschluss: Eine Ehrenrettung für das „Nein“

Heißt dies nun, man solle niemals nein sagen, immer zustimmen? Sicherlich nicht. Auch die Ablehnung, das „Nein“ hat seinen Platz. Genau genommen ist es sogar so, dass ohne ein „Nein“ auch ein „Ja“ keine Bedeutung hat. Wer immer nur allem zustimmt, dessen Zustimmung ist kraftlos, sie hat kein Gewicht. Es geht eher darum, wozu genau wir zustimmen oder was genau wir ablehnen. Und auch, wie wir Zustimmung und Ablehnung miteinander verbinden.

Die Kraft der Zustimmung ergibt sich aus dem Erkennen und Anerkennen der Realität. Irgendetwas ist so, wie ist. Ich habe zum Beispiel jetzt in dieser konkreten Situation Angst in einer ganz bestimmten Ausprägung. Es geht um die Anerkennung des Faktischen. Es macht keinen Sinn, abzulehnen, was nun einmal im Moment ist. Dabei ginge Kraft und Energie verloren.

Überhaupt nicht sinnlos ist dagegen das Nein, also die Ablehnung, wenn es um ein Verhalten geht, welches sich scheinbar naheliegend aus dem, was ist, ergibt. Im Beispiel des bereits erwähnten Spielsüchtigen könnte dies bedeuten: Er sagt „Ja“ zur seiner Spielsucht. Es ist ein Teil in ihm, den es gibt. Aber er sagt „Nein“ zur Verlockung, heute Abend in die Spielbank zu gehen. Die innere Bewegung könnte also als Satz ausgesprochen lauten: „ JA, es gibt die Verführung, heute Abend wieder an en Roulette-Tisch zu gehen. Und NEIN, ich gebe ihr heute nicht nach!“.

Das Nein zu einem bestimmten Verhalten entfaltet seine Kraft hier erst dadurch, dass ich erst einmal zustimme, dass es die Versuchung in mir gibt.

Letztlich ist ein Nein zu einer Möglichkeit oder einem Angebot ja auch ein Ja zu meiner Entscheidungsfähigkeit. Und hier, in der Ent-Scheidung, also der Trennung von etwas aus eigenem Entschluss, entfaltet das Nein seine Kraft. Allerdings nur, so möchte man hinzufügen, wenn ich dann wieder „Ja“ zu dem sage, was statt dem Abgelehnten ist oder sein soll.

 

[1] In der Psychologie ist dieses Phänomen wohlbekannt als „Angst vor der Angst“. Diese ist sehr oft das eigentliche Problem, nicht so sehr eine bestimmte Angst selber.