Nun soll es werden – Frieden auf Erden
Dieser Beitrag entsteht in der Zeit „zwischen den Jahren“, zwischen den Weihnachtsfeiertagen 2018 und dem neuen Jahr 2019. Die Weihnachtszeit enthält, neben vielem anderen, ein Versprechen. Das Versprechen einer besseren Welt. Und wie bei so vielen Versprechen droht die Enttäuschung des gebrochenen oder unerfüllten Versprechens.
In einem bekannten Weihnachtslied („Kommet ihr Hirten“) gibt es die Zeilen:
„Nun soll es werden
Frieden auf Erden
Den Menschen allen
ein Wohlgefallen“
Wenn wir dieses Versprechen mit dem Verstand kritisch prüfen, erscheint es naiv. Es drückt eine kindliche Sehnsucht aus nach einer Welt ohne Kriege, ohne schwere Krankheiten, ohne Hunger und ohne Leid.
Und wie sieht die Realität aus? In dieser Welt gibt es weiter Kriege, Krankheiten und schwere Schicksalsschläge. Weder machen diese „Kräfte“ – und sei es auch nur über Weihnachten – eine Pause noch sind sie endgültig und auf Dauer besiegt.
In diesem Sinne wäre also die religiös-christliche Weihnachtsbotschaft auch nur ein weiteres leeres Versprechen, dass jedes Jahr aufs Neue enttäuscht wird. Ähnlich den Versprechungen von Produktbotschaften in der Werbung: „Dieses Produkt wird dich glücklich machen“. Und als Konsumenten mit etwas Lebenserfahrung wissen wir, dass die Halbwertszeit der Erfüllung solcher Versprechungen meist recht kurz ist.
Die Rückschau – zum Frieden gelangen
Und doch gibt es diese Momente, wo wir in Frieden und Einverständnis gelangen mit allem, was ist. Manchmal gelingt dies in der Meditation. Manchmal in der Rückschau, wenn wir unser Leben mit ein wenig Distanz rückblickend betrachten. Dann erscheint ein Gefühl von Führung, ein verbunden sein mit einer größeren Kraft, die aber selber im Dunklen bleibt.
Und gerade in den „dunklen Stunden“ der Seele, wenn wir von dieser größeren Kraft, die sich nicht näher benennen lässt, in besonderer Weise betroffen sind, erwächst auch eine besondere persönliche Kraft. Wenn wir uns dem Schicksalshaften stellen und innerlich „Ja“ dazu sagen. Nur ist es schwer, dies im Moment der Betroffenheit zu erfahren. Es ist leichter in der Rückschau.
Mir scheint, dies ist der Weg, das Weihnachts-Versprechen „nun soll es werden Frieden auf Erden“ doch noch einzulösen. Wenn wir Frieden machen im Inneren mit dem Leben und seinen Bedingungen, so wie sind. Und sei es Krieg, schwere Krankheit oder Tod. Und wenn wir dann dort handeln, wo wir zu Handeln vermögen und wo wir zum Handeln aufgefordert sind und soweit es in unserer Kraft steht. Aber nicht, um die Welt zu retten. Das wäre eine anmaßende Haltung, also ob man auserwählt sei und das Glück der gesamten Welt sei in die eigenen Hände gegeben.
Die Rückschau auf die Eltern
Eine der häufigsten seelischen Bewegungen in Familienaufstellungen ist die Zuwendung, die Hin-Bewegung zu den eigenen Eltern. Wie auch immer diese Eltern gewesen sein mögen und wie auch immer die Umstände waren, so ist es doch eine fundamentale Tatsache: Ihnen verdanke ich mein Leben! Ohne sie wäre ich nicht! Und ein Teil der heilenden Wirkung dieser Hinbewegung zu den eigenen Eltern (und damit zum eigenen Leben) verdankt sich der Tatsache, dass vor dem Hintergrund dieses Größeren („Euch verdanke ich mein Leben“) die Einwände und die Kritik, die jeder von uns gegen seine Eltern hat, verblassen. Ja, kleinlich im Wortsinne erscheinen.
Aber eigentlich greift es immer noch zu kurz, wenn man nur auf die eigene Mutter oder den eigenen Vater schaut. Bert Hellinger drückt es so aus:
„Leben kommt von weit her über die Eltern, nicht von den Eltern. Das Leben ist unverfälscht, wie immer die Eltern sind. Gerade wenn wir auch dahinter schauen, können wir nehmen, was über die Eltern kommt. Das ist die eigentliche Haltung von Annahme und Zustimmung.“[1] (Hervorhebungen von mir).
Was bedeutet dieses „dahinter schauen“? Nun, man sieht in gewisser Weise nicht nur die eigene Mutter mit ihren Besonderheiten und Eigenheiten, sondern dahinter auch deren Mutter und die Mutter der Mutter und deren Mutter usw. Und dasselbe beim Vater. Dahinter steht der Vater des Vaters und dessen Vater usw. Und ebenso natürlich steht hinter der Mutter deren Vater und dessen Mutter und Vater, hinter dem Vater steht dessen Mutter und deren Mutter und Vater.
Dass muss man sich nicht konkret als Personen bildlich vorstellen. Es reicht, wenn alle, die dazu gehören und dazu beigetragen haben, dass ich lebe, sozusagen hinter den eigenen Eltern als Ahnung aufscheinen. Dann versteht man, was es bedeutet, das Leben kommt über die Eltern zu mir und nicht von den Eltern. Das ist eine andere Art der Zustimmung zum Leben und zu dem Platz, den es mir gibt mit allen Möglichkeiten und Einschränkungen. Das geht über die bloße Zustimmung zu den Eltern, so wie sie waren und sind, weit hinaus.
Und wenn diese Zustimmung zum Leben, wie es durch unsere Eltern zu uns kam und zu dem besonderen Platz, an den es uns gestellt hat, wirklich innerlich vollzogen wird – dann entsteht Frieden.
In diesem Sinne, so scheint mir, kann das Versprechen der Weihnacht, der geweihten Nacht („Nun soll es werden, Frieden auf Erden“) eingelöst werden.
[1] Bert Hellinger: Mit der Seele gehen. Gespräche mit Bert Hellinger. Herder Verlag 2008. S. 126