Manchmal kommt nach einer Aufstellung eine Frage auf, wie denn mit dem Geschehen in der Aufstellung und der vielleicht dort sichtbaren Lösung umgegangen werden soll. Die Frage lautet also zum Beispiel „Was mache ich jetzt damit?“ oder „Wie soll ich mich jetzt verhalten?“ oder „Was kann ich damit jetzt praktisch tun?“
Um dies einmal an einem häufig vorkommenden Thema zu verdeutlichen: Es gibt etwas, was wir in der Aufstellungsarbeit die „ursprüngliche Liebe“ bezeichnen, eine tiefe, geradezu existenzielle Verbundenheit des Kindes zu seinen Eltern. Häufig ist diese ursprüngliche Verbindung aber im Vollzug gestört und kann nicht wirklich fließen oder empfunden werden. Sei es, weil die Eltern oder Elternteile nicht wirklich anwesend sind im Leben des Kindes oder sie mit eigenen traumatischen Belastungen nicht wirklich seelisch verfügbar sind für das Kind oder sei es, weil das Kind etwa auf Grund einer frühen Trennung oder Enttäuschung sozusagen „zugemacht“ hat und das Leben von den Eltern nur eingeschränkt nehmen kann[1].
Nehmen wir an, im Rahmen einer Familienaufstellung wäre diese Blockade – die auch eine energetische Blockade ist – einerseits sichtbar geworden und andererseits auch einer guten Lösung zugeführt worden, bei der diese ursprüngliche Liebe wieder in Fluss gekommen ist.
Meist geschieht dies in Aufstellungen der Form nach so, dass ein Kind gegen viele innere Widerstände hinweg sich zum Beispiel auf die Mutter zu bewegt und dort wieder klein und Kind wird. Häufig kommt es dann zu sehr innigen Umarmungen und die ursprüngliche Liebe wird in ihrem Fluss erlebbar, was sehr bewegend ist sowohl für die unmittelbaren Protagonisten wie auch alle anderen Beteiligten und Zuschauer einer Aufstellung.
Und wenn dann im Nachgang die Frage entsteht, „was mache ich denn nun mit damit?“ dann verweist diese Frage aus meiner Sicht einerseits auf eine reale Schwierigkeit und gleichzeitig auf ein Missverständnis.
Die reale Schwierigkeit
Die reale Schwierigkeit im inneren Vollzug dessen, was sich in einer Aufstellung zeigt, besteht darin, dass eine Aufstellung teilweise einen symbolisch-stellvertretenden Charakter hat. Bleiben wir beim Beispiel der Heilung einer unterbrochenen Hinbewegung zur Mutter: Da geht eine erwachsenen Person sozusagen stellvertretend für das kleine Kind, das immer noch in ihr lebt, zu einer anderen Person, die in der Aufstellung stellvertretend für die Mutter steht.
Und jetzt kann es sein, dass es der Hauptperson dann im Nachgang der Aufstellung so vorkommt, als sei dies nur eine – wenn auch schöne – „Simulation“ gewesen. Eine Art „so tun als ob“. Und die Frage entsteht: Was hat das jetzt mit meiner gewohnten „Realität“, meinen bisher eingelebten Wahrnehmungs- und Empfindungsmustern zu tun? Kann ich es von der einen Realitätsebene, die ich vielleicht im Nachgang, wenn der analytische Verstand wieder eingreift, als bloße „Simulation“ oder gar „Illusion“ erlebe, in die andere Realitätsebene, die aus meinem gewohnten Alltag besteht, hinüber retten? Und wenn ja: Wie?
Hier wäre zunächst zu sagen, warum die Geschehnisse in einer Aufstellung nur teilweise symbolisch und stellvertretend sind. Ja, einerseits ist etwa die Mutter in der Aufstellung eine fremde Person, nicht die wirkliche Mutter. Und die Person, die auf die Mutter zugeht, ist eben nicht vielleicht ein halbes Jahr alt oder drei Jahre alt, sondern möglicherweise 53 Jahre alt. Aber: Wenn eine Aufstellung wirklich innerlich gesammelt vollzogen wird, dann geht in diesem Moment nicht die 53-Jährige auf ihre Mutter zu, sondern wirklich die 3-Jährige! Das innere Kind, das in der 53-Jährigen lebt, bewegt hier den Körper. Und ebenso: Wenn die Stellvertreterin der Mutter sich wirklich dem „wissenden Feld“ überlässt und ihre eigene Persönlichkeit sozusagen hintanstellt für den Verlauf der Aufstellung, dann wird sie zu genau dieser Mutter – auf der seelischen Ebene und nur für die Zeit der Aufstellung.
Es handelt sich bei einer Aufstellung also nicht in dem Sinne um ein rein symbolisches Handeln, wie es bei manchen anderen Interventionsformen in der Psychoszene vorkommt. Wenn also beispielsweise eine Person angehalten würde, alle Einwände und alle Verletzungen und alle Vorwürfe gegenüber der Mutter auf einen Zettel zu schreiben und dann diesen Zettel als Ritual zu verbrennen und die Asche in den Wind zu zerstreuen. Dies wäre eine rein symbolische Handlung. (Die auch tiefgreifende Wirkungen haben kann, das sei nicht bestritten.)
Nein, eine Aufstellung ist in diesem Sinne nicht nur rein symbolisch. Wie gesagt: Das innere Kind, dass sich jetzt zeigen kann und sich für eine Zeit im Körper der erwachsenen Person ausdrücken darf, ist höchst real.
Woran merkt man das? Nun, in erster Linie an der Echtheit der Gefühle. Wenn hier kraftvolle Primärgefühle[2] unverfälscht zum Ausdruck kommen, dann weiß man: Das was hier passiert ist sehr wirklich. Noch wirklicher kann eine Wirklichkeit (also das, was wirkt) gar nicht sein.
Aber es bleibt natürlich tatsächlich die Schwierigkeit, dass die Fokusperson in einer Aufstellung jetzt zwei unterschiedliche Arten von Erlebnissen hat. Sie hat einerseits die Erlebnisse aus der Kindheit, in welcher der Fluss der ursprünglichen Liebe vielleicht verdeckt oder gar verschüttet war. Und sie das Erlebnis, wie es ist, wenn diese ursprüngliche Liebe, da wo sie ins Stocken geraten war, wieder ins Fließen kommt. Und das sind zwei sehr unterschiedliche Lebensgefühle, zwei ganz unterschiedliche Arten, in der Welt zu sein. Hier ist tatsächlich eine Integration zu leisten.
Das Missverständnis
Wenn sich aber das Erleben von „zwei Welten“ einstellt und damit die Frage aufkommt, was kann oder muss ich tun, um das Erleben der einen Welt in die andere Welt zu übertragen, so liegt allein in der Frage schon in gewisser Weise ein Missverständnis, weshalb die so gestellt Frage eigentlich keine Antwort haben kann.
Das Missverständnis ist: Es sind eigentlich keine getrennten Welten. Es ist eher so, dass durch das Erleben in einer Aufstellung etwas sichtbar wird, was immer da war und immer da ist. Es ist nur bislang verdeckt und damit nicht sichtbar gewesen. Und nun ist es am Licht.
Das, was wir als ursprüngliche Liebe zwischen Kindern und Eltern bezeichnet haben, ist letztendlich nur ein Ausdruck einer allgemeinen Lebenskraft. Jedes Kind, das auf die Welt kommt, ist ebenso wie jeder Grashalm, der sprießt, ein Ausdruck der Liebe des Lebens zu sich selbst. Und das Leben selbst, was hier zum Ausdruck kommt, muss über die Eltern zum Kind gekommen sein. Es kann nicht anders sein. Deswegen können wir mit Sicherheit sagen: Wenn du lebst, muss dieses Leben über deine Eltern zu dir gekommen sein, nur über sie bist du in der Welt. Und dieser Fakt alleine „beweist“ den Fluss der ursprünglichen Liebe, wie verschüttet der reale Vollzug dieser Liebe auch immer gewesen sein mag. Nur weil etwas verdeckt ist, heißt es nicht, dass es nicht da ist und die ganze Zeit da war.
Ein anderer Aspekt des Missverständnisses ist damit verbunden: Die Frage, „was mache ich jetzt damit“ zielt ja oft auf Ratschläge, wie zu handeln sei. Es geht aber bei der Integrationsleistung, die hier angesprochen ist, weniger um ein konkretes Handeln sondern um das Sein. Wir könnten auch sagen: Es geht um eine bestimmte innere Haltung. Und wenn wir hier im inneren Vollzug der Erkenntnis bleiben, das wir alle Kinder der Liebe sind, auch wenn es oberflächlich manchmal nicht so aussehen mag, dann ergibt sich das Meiste an Veränderung im konkreten Handeln von ganz alleine.
Bert Hellinger hat in der Anfangsphase der Aufstellungsarbeit mitunter auf solche Fragen, was man denn nun konkret tun solle, etwas in der Art gesagt: „Ich vertraue es deiner großen Seele an!“
Das finde ich eine schöne Haltung, weil sie die Würde, die Autonomie und die Einzigartigkeit der Person, um die es geht, wahrt. Im Vertrauen darauf, dass es etwas in der Person gibt, das Hellinger mit „die große Seele in dir“ anspricht, eine Instanz, die weiß was die Ergebnisse der Aufstellung bedeuten und wie sie zu nutzen sind. Das ist mit dem Verstand alleine kaum auszudeuten.
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[1] In der Aufstellungsarbeit nennen wir das eine „unterbrochene Hinbewegung“. Siehe dazu auch den Blogbeitrag vom Oktober 2018: Die Hinbewegung der Kinder zu den Eltern
[2] Siehe dazu der Blogbeitrag vom Januar 2018: Über Gefühle, ihre Qualitäten und ihre Rolle in der Aufstellungsarbeit