Bruce Springsteen und seine E-Street-Band hatten während ihrer Europa-Tournee in den 80er Jahren ein Stück in ihrem Programm mit dem Titel „War (What is it good for? Absolutely nothing!).“ Ein Antikriegslied. Und zur Einleitung dieses Songs hat Bruce Springsteen auf den Konzerten immer eine persönliche Geschichte erzählt darüber, wie es war in den 60ern des letzten Jahrhunderts als Teenager aufzuwachsen „with war on TV every night“, also mit den Bildern vom Vietnamkrieg im Fernsehen jeden Abend. Diese persönliche Geschichte dient natürlich als Kontext für den nachfolgenden Song im Konzert und vordergründig handelt er eben vom Krieg bzw. von einer Antikriegshaltung. Aber die Geschichte erzählt noch etwas anderes, und darauf möchte ich hier das Augenmerk legen. Die Geschichte erzählt etwas von Vaterliebe.
Für diejenigen, die des Englischen halbwegs mächtig sind, empfehle ich, sich die folgende Audioaufnahme mit einer Länge von gut 4 Minuten erst einmal anzuhören, bevor man weiter liest.
Ich will es im Folgenden kurz nacherzählen, um auf meine Punkt zu kommen. Bruce Springsteen erzählt hier von den 60er Jahren, die Zeit in der er ein Teenager war. Und diese Zeit war in vielen Fällen geprägt von Konflikten und Auseinandersetzungen dieser Jugendlichen mit ihren Eltern und insbesondere mit den Vätern. Den Vätern gefiel oft vieles nicht an ihren Sprösslingen. Die langen Haare, die auch bei den jungen Männern Mode wurden, die Jeans-Kleidung, die Musik, die sie hörten und ihre politischen Einstellungen wie zum Beispiel eben auch die empörte Ablehnung des Vietnamkrieges durch die jüngere Generation.
Jedenfalls, so die Erzählung durch Bruce Springsteen, war es nicht nur so, dass sie jeden Abend den Vietnamkrieg im Fernsehen hatten. Er hatte auch jeden Abend Streit mit seinem Vater. Und in diesem Zusammenhang äußerte der Vater dann gelegentlich, er könne es gar nicht erwarten, bis Bruce zur Armee müsste. In der Armee würden sie ihm schon die Flausen austreiben und einen richtigen Mann aus ihm machen – und ihm die Haare schneiden, natürlich.
Nun war der Vietnamkrieg zumindest für die männlichen Heranwachsenden in der Zeit nicht nur etwas, was man im Fernsehen sieht. Es war eine reale nahe Zukunft. Damals gab es Wehrpflicht in den USA und viele junge Männer wurden mit gerade 18 Jahren eingezogen und zum Kriegsschauplatz Vietnam verbracht. Bruce Springsteen schildert das so, dass er es bei vielen jungen Männern in der Nachbarschaft beobachtet hat. Eines Tages waren sie bei den US-Streitkräften und nicht mehr da. Und, so sagt er, vielen kamen nicht mehr zurück. Und von denen, die zurückkamen, waren viele danach nicht mehr dieselben, hatten sich sehr verändert. Wie gesagt: Dieser Krieg im Fernsehen war keine Geschehen weit weg, sondern die mögliche Realität in der nahen Zukunft für die männlichen Heranwachsenden.
Und in dieser Situation wünscht sich sein Vater offenbar nicht sehnlicher, als das es für ihn, also den Sohn, möglichst bald so weit sein möge.
Und eines Tages ist es soweit. Er erhält seinen Musterungsbefehl. Er verlässt das elterliche Haus und treibt sich auf der Straße mit seinen gleichaltrigen Kumpels herum. Und alle haben Bammel. Die nächsten drei Tage bis zum Musterungstermin geht er nicht mehr nach Hause. Es wird wenig geschlafen, wahrscheinlich auch viel Alkohol und andere Drogen konsumiert in seiner Gruppe. Und die Frage ist: Was können wir tun, um nicht nach Vietnam zu müssen.
Nach der Musterung kommt er wieder nach Hause, nach dem er für drei Tage abwesend war, ohne Erklärung, ohne Abschied, ohne dass seine Eltern wussten, wo er war. Natürlich müssen wir annehmen, dass die Eltern in großer Sorge waren. Und zu Hause trifft er als erstes seinen Vater in der Küche. Es entwickelt sich das folgende kurze Gespräch:
Der Vater fragt: „Wo bist du gewesen?“
Der Sohn antwortet: „Ich war zu meinem Musterungstermin“.
Darauf der Vater: „Wie ist es ausgegangen?“
Der Sohn: „Sie haben mich nicht genommen.“
Darauf der Vater: „Das ist gut.“
Und hier ist sie: Die Vaterliebe. In diesem einfachen und kurzen Satz („that’s good“). Die ganzen Konflikte und Streitereien, der Wunsch, der Sohn möge möglichst bald zur Armee und damit in den Krieg müssen („I can’t wait till the army gets you!“), das spielt alles keine Rolle mehr, erweist sich als oberflächliches Geplänkel. In dem Moment, wo es konkret wird, bricht sie durch, ursprüngliche Liebe, hier die Liebe des Vaters zu seinem Sohn.
In Aufstellungen und auch hier in diesem Blog geht es oft um diese ursprüngliche Liebe und wie sie wieder in Fließen kommt, da wo sie blockiert ist. Und genau das passiert hier in dieser Geschichte. Mit drei einfachen Worten.
Für mich ist diese Geschichte eine Illustration für die Behauptung, dass diese ursprüngliche Liebe immer da ist, immer existiert, egal wie wenig es danach aussieht und egal, wie verschüttet sie erscheinen mag. Und wenn sie zu Tage tritt, ist es ein bewegendes Erlebnis.
PS: Um dem erwähnten Song ("War") auch Genüge zu tun: Hier ist eine Live-Aufnahme von 1985 mit ein wenig zeitgeschichtlicher Einrahmung: