Hoffnung, Furcht oder Heilserwartung?
Mit welcher inneren Haltung sollte man sich einer Aufstellung, insbesondere einer Aufstellung mit einem eigenen Anliegen, nähern? Vielleicht mit der Erwartung oder Hoffnung auf ein „kleines Wunder“, dass ein zentrales Lebensproblem eine Heilung oder zumindest Linderung erfahren möge? Oder mit dem Wunsch, eine Einsicht zu gewinnen, die bislang so nicht zugänglich war? Oder vielleicht mit Befürchtungen, welche Untiefen im einen inneren hier zutage treten mögen?
Relativ normal ist in jedem Fall, das ein Mensch, der ein eigenes Anliegen in einer Aufstellung bearbeiten und im günstigsten Fall einer Lösung zuführen möchte, eine gewisse Aufgeregtheit verspürt, wenn er oder sie „dran“ ist.
Bert Hellinger hat in einer eher frühen Phase der Familienaufstellungen einmal angemerkt, einer Aufstellung nähere man sich mit „Zittern und Zagen[1]“. Und gemeint ist damit eine gewisse Ehrfurcht – und ja, in dem Begriff steckt auch Furcht – als angemessene innere Haltung. Weil wir in Aufstellungen Kräften in unserer Seele begegnen, die größer sind, als das eigene Ich oder auch: Als das eigene Ego. Wir begegnen hier einer seelischen Dynamik, die uns eher „in Dienst“ nimmt[2], als das wir sie beherrschen.
Wir könnten also in einer ersten Annäherung auch sagen: Es braucht eine innere Haltung der Demut, auch der Hingabe. Ein „sich anvertrauen“ denjenigen seelischen Bewegungen gegenüber, die ich nicht in der Hand habe. Und das kann schon etwas ängstigen, schließlich ist damit ja auch ein wenig Aufgabe von Kontrolle angesprochen. Und eigentlich wollen wir doch unser Leben unter Kontrolle bekommen oder halten, die Dinge „in den Griff“ bekommen.
Nun sollte man dies aber auch nicht allzu dramatisch betrachten. Ein wenig Aufregung, ein wenig Nervosität und Ungewissheit gehört zu jeder Veränderung oder jeder Übergangsphase im Leben. Ob das eine wichtige Prüfung ist oder der Beginn einer Therapie oder auch nur der Wechsel einer Arbeitsstelle oder eines Wohnortes.
Die "dos and don’ts" – Eine Empfehlung
Bezogen auf Aufstellungen lassen sich aber schon einige innere Haltungen angeben, die förderlich für den Prozess sind und auch einige hinderliche Einstellungen.
Förderlich für den Verlauf einer Aufstellung ist, wenn
- ich offen und so weit wie möglich absichtslos bezüglich des konkreten Verlaufes und des Ergebnisses der Aufstellung bin
- ich mich zumindest bis zu einem gewissen Grad frei machen kann von vorgefassten Meinungen, Ansichten oder gar Schuldzuweisungen
- ich in der Lage bin, erst einmal nur zu schauen, was ist und was sich zeigt und dabei dem Drang, es bewerten zu wollen widerstehe
Eher ungünstig für eine Aufstellung wäre:
- Eine feste Vorstellung davon zu haben, was sich in der Aufstellung zeigen muss und welches Ergebnis sie haben soll.
- Eine Heils- oder Erweckungserwartung bezüglich einer Aufstellung zu hegen. Aufstellungen zeigen den nächsten, den naheliegenden Schritt, der in einer Entwicklung zu vollziehen ist. Und sie helfen, in die eigene Kraft zu kommen, um diesen Schritt zu vollziehen. Aufstellungen machen nicht „erleuchtet“ – was immer das auch sein mag.
- Eine Haltung, die sich als distanzierte Neugier beschreiben ließe, etwa in der Art: „Ich schau mal, und dann kann ich mich immer noch entscheiden, was davon mir in den Kram passt und was nicht.“ Dazu sind dann Aufstellungen doch wieder eine zu ernste Angelegenheit. In gewisser Weise geht es immer existenziell „ums Ganze“.
Vom Schweren und der Leichtigkeit der Lösung
Wenn diese Beschreibung nach viel Schwere klingt, ist das einerseits in so fern richtig, dass Aufstellungen oft mit den schweren Seiten des Leben zu tun haben. Mit dem ganzen Gewicht von schicksalhaftem Geschehen.
Auf der anderen Seite ist die Lösung meist leicht. Das wäre fast ein Erkennungszeichen einer „guten“ Lösung in einer Aufstellung: Wenn ich gesammelt bin und in meiner inneren Mitte, in Anerkennung als dessen, was ist – dann ist der Vollzug des nächstliegenden Schritts leicht. Und erst von da aus machen wir den dann nächsten Schritt. Die Orientierung geht immer auf das Nahe-Liegende.
Es kann natürlich auch sein, dass ein Mensch in einer Aufstellung eine wirkende seelische Dynamik erfährt und auch eine Lösung naheliegend ist – aber die Person kann den Schritt trotzdem nicht gehen.
Dann ist auch diese Entscheidung, nicht in die Lösung zu gehen, zu achten und zu würdigen. Es kann im Falle einer Verstrickung mit Schicksalen aus der Herkunftsfamilie sein, dass in dieser Entscheidung, nicht in die Lösung zu gehen, eine große Liebe, Treue und Verbundenheit zu diesen Vorfahren zum Tragen kommt. Und es wäre dann anmaßend, von außen beurteilen zu wollen, ob in einem konkreten Einzelfall es die größere seelische Leistung ist, an dieser Verbundenheit festzuhalten oder sich in Anerkennung und Würdigung der Vorfahren davon zu lösen.
[1] Und als ehemaliger Priester spielt er mit dieser Formulierung natürlich auf die Apostelgeschichte 9 an, in der die Legende von der Wandlung des Saulus zum Paulus erzählt wird.
[2] Wieder mit Bert Hellinger gesprochen.