Wenn jemand eine Familienaufstellung macht zu einem persönlichen Anliegen, dann verspricht er oder sie sich etwas davon. Er oder sich verspricht sich eine Lösung für ein persönliches Problem oder eine Heilung, zumindest einen Beitrag zu einer Heilung von einer Krankheit.
Die Frage ist nun: Kann eine Familienaufstellung heilend wirken und wenn ja, wie heilt sie? Oder vorsichtiger formuliert: Wie entfaltet sie Wirkungen, die eine Heilung unterstützen oder fördern.
Mir scheint, wir können hier drei Arten von Wirkungen erkennen und unterscheiden, die alle eine lindernde bis heilende Wirkung haben (können).
„Ich folge dir nach“ – Körperliche und psychische Erkrankungen und die Verstrickung mit den Schicksalen der Herkunftsfamilie
Es gibt mitunter Erkrankungen oder Einschränkungen im Lebensvollzug, wo der Zusammenhang mit wichtigen Personen der Herkunftsfamilie recht offen zu Tage liegt. Etwa eine Frau, die Diabetes hat, sagt auf die Frage, ob es diese Erkrankung in ihrer Herkunftsfamilie gab: „Ja, meine Mutter hatte das auch schon. Und deren Mutter auch.“ Oder bei einem Mann, der im Alter von 33 Jahren einen Suizidversuch unternimmt an einem 31. Oktober. Sein Vater erhängte sich im Alter von 33 Jahren an einem 31. Oktober. Und dessen Vater, der Großvater des Mannes, erschoss sich ebenfalls im Alter von 33 Jahren und ebenfalls an einem 31. Oktober.
Im Rahmen von Familienaufstellungen sprechen wir hier von einer „Ich folge dir nach“-Thematik. Es scheint, als wolle ein Nachgeborener das Schicksal von Vorangegangenen wiederholen. Als ob die Seele sagt: „Ich mache es wie du!“. Und darin liegt eine große Verbundenheit, eine große ursprüngliche Liebe den betreffenden Personen der Ahnenreihe gegenüber. Aber: Diese Liebe ist, wie Bert Hellinger es ausgedrückt hat, eine „blinde“ Liebe. Und die Lösung wäre: Dass die nachgeborene Person auf die Vorangegangenen schaut, mit Liebe und mit Achtung. Mit Achtung für deren Schicksal. Und dann vielleicht in einer Familienaufstellung diesen Personen der Ahnenreihe sagt: „Bitte! Schaut freundlich auf mich, wenn ich nicht euren Weg gehe.“
Dann wird die Seele frei, die ursprüngliche Liebe zu den eigenen Wurzeln muss dann nicht mehr über die Nachahmung eines fremden Schicksals sich vollziehen. Ich kann den Weg und das Schicksal derer, die waren, achten – und bin selber frei zu mir gemäßem Handeln.
Aber oft sind die Verbindungen von Krankheit/Symptom und Herkunftsfamilie nicht in dieser Form ein deutliches 1:1 Abbild.
Die eigene Herkunftsfamilie nehmen und annehmen – mit allem was dazu gehört und ohne Abstriche
Viele körperliche Leiden, psychische Beeinträchtigungen oder andere Beschränkungen im Lebensvollzug haben aber keine solche direkte und deutliche Verbindung zur Herkunftsfamilie, ihren Schicksalen und Dynamiken. Es kann z.B. sein, eine Frau macht eine Familienaufstellung, weil sie wenig Erfolg im Leben hat, weder beruflich noch privat, also z.B. in Partnerschaften. Auch hat sie widerkehrend mit depressiven Episoden zu kämpfen und ist ungewollt kinderlos. Aber genau dieses Muster findet sich so nicht in ihrer Herkunftsfamlie. Ihre Mutter war im Gegenteil beruflich sehr erfolgreich, nie depressiv und auch offensichtlich nicht kinderlos, sonst gäbe es die besagte Frau ja gar nicht.
In der Aufstellung zeigt sich das Bild: Die Tochter steht zu ihrer Mutter in großer Distanz, die Haltung drückt Trotz aus. Es ist, als wenn sie sagen würde: „Von dir nehme ich nichts!“ Und die Lösung kann in diesem Fall sein, dass die Tochter – langsam und voller anfänglicher Widerstände – auf die Mutter zu geht, dann auf die Knie geht und in inniglicher Umarmung den Kopf an den Bauch der Mutter legt. Und dann kommt etwas ins Fließen von der Mutter zur Tochter, wir nennen es die ursprüngliche Liebe – und oft fließen dann auch Tränen. Und die Tochter richtet sich dann, nach einer Weile, wieder auf zur Mutter sagt: „Jetzt nehme ich mein Leben an, genau so, wie es von dir zu mir geflossen ist. Vollständig und ohne Abstriche“. Dann kommt die Tochter in ihre Kraft.
Hier haben wir keine direkte Verbindung auf der Symptomebene, die Symptome der Tochter waren nicht die Symptome der Mutter. Aber, so könnte man interpretieren, die Symptome der Tochter waren ein Ausdruck der Ablehnung der Mutter, was in der Seele immer auch heißt: Ich lehne mein Leben, zumindest teilweise, ab. Und dies wäre der seelische Nährboden für die Symptomatik.
In der einen oder anderen Form spielt dieses „das eigene Leben nicht voll nehmen und annehmen“ sehr oft eine Rolle in Familienaufstellungen. Die konkreten Anlässe, warum jemand eine Familienaufstellung machen möchte, sind demgegenüber sehr unspezifisch und höchst unterschiedlich. Der Einwand dem Leben gegenüber kann sich buchstäblich in allem Möglichen ausdrücken.
Wo Schicksal wirkt und Demut heilt
Es gibt aber noch dritte Form des Zusammenhangs von Krankheit und Aufstellungsarbeit. Ich denke dabei beispielhaft an eine Aufstellung, bei der eine ältere Frau zusammen mit ihrem Mann erschien, der an Demenz erkrankt war. Das – nicht ganz so direkt – vorgetragene Anliegen der Frau war, über eine Aufstellung die Demenzerkrankung ihres Mannes zu heilen. Der Aufstellungsleiter sagte dann: „Ich nehme diesen Auftrag nicht an.“ Sagte dann aber zur Frau: „Wenn du möchtest, können wir in einer Aufstellung uns einmal ansehen, wie die seelischen Bewegungen sind. Bei dir und bei deinem Mann“. Damit war die Frau einverstanden.
In der Aufstellung wurde über den Stellvertreter des Mannes deutlich, dass die Demenzerkrankung sein Weg war, sich langsam nach einem langen und sehr erfolgreichen Leben von diesem Leben zurück zu ziehen. Wir könnten auch sagen: Es war der Weg, den die Seele gewählt hatte, sich auf das Sterben vorzubereiten. Die Seele des Mannes war dabei ruhig und zufrieden. Wichtig in der seelische Bewegung der Frau war, dass – aus Gründen die hier nicht interessieren – sie ihm noch etwas schuldig war und das die Pflege ihres Mannes im Alter ein Weg sein kann, hier einen Ausgleich herzustellen.
In solchen Fällen darf man nicht eine Aufstellung durchführen mit dem Ziel, die Krankheit „weg zu machen“. Es würde nicht funktionieren – und es wäre auch eine Anmaßung.
Hier wirkt in der Erkrankung etwas, was größer ist und sich dem manipulativen Zugriff entzieht. Die hier gemäße innere Haltung seitens der Protagonisten einer Aufstellung aber auch seitens der Aufstellungsleitung hat Bert Hellinger einmal in einem Buchtitel in eine prägnante sprachliche Formulierung gebracht: Wo Schicksal wirkt und Demut heilt.
Heißt das, dass hier keine Heilung stattgefunden hat? Nicht in Bezug auf die Demenzerkrankung. Die war in der Seele des Betroffenen ein Schicksal, dem sie, die Seele, deutlich zugestimmt hat.
Aber in der seelischen Bewegung der Frau des Demenzerkrankten hatte sich deutlich sichtbar etwas ereignet während der Aufstellung. Sie kam in Frieden mit der Demenzerkrankung ihres Mannes.
Ist das eine Heilung? Ich meine: Ja.