In der Aufstellungsarbeit gibt es eine Reihe von Regeln, nach denen sich die seelischen Bewegungen in einen System von Menschen abspielen, sei es in Familiensystemen oder auch anderen Systemen wie z.B. Organisationen. Gefunden wurden diese Regeln von Bert Hellinger in der Frühphase der Entwicklung der Familienaufstellung. Die Regeln betreffen solche Fragen, wie:
- Wer gehört alles zu einem System und wer nicht? Hier ist die Frage der Bindung des Einzelnen an eine größere soziale Einheit angesprochen.
- Welche Verbindungen und Verstrickungen gibt es zwischen den Schicksalen von Nachgeborenen und den Schicksalen von Vorfahren in Familiensystemen?
- Welchen Platz habe ich in einem System? Hier spielt z.B. Umstand eine Rolle, dass Personen die früher sozusagen da waren in einem System einen gewissen Vorrang vor später zum System dazugekommen Personen haben.
Dies sei hier nur beispielhaft genannt, es ließen sich weitere Regeln formulieren, die insbesondere in Familiensystemen gefunden wurde wie etwas die Regeln des Ausgleiches zwischen Geben und Nehmen und einige weitere Dinge mehr.
Wichtig ist dabei: Diese Regeln sind ursprünglich nicht in irgendeiner Weise theoretisch „hergeleitet“ worden, sondern durch Beobachtung in vielen Familienaufstellungen gewonnen worden. Es sind also keine normativen Regeln, die beschreiben würden, wie etwas sein soll. Sondern es sind Beobachtungen gewesen, wie etwas sich wiederholt immer wieder in Aufstellungen gezeigt hat.
Aber – und dies ist ein großes „Aber“: Es bleibt grundsätzlich dabei, dass solche Regeln nur dann eine Aufstellung wirksam leiten können, wenn und so weit sie sich im konkreten Einzelfall dann auch so zeigt. Und dies muss nicht immer so sein. Oder anders gesagt: Zu fast jeder Regel gibt es – zumindest im Einzelfall – Ausnahmen.
Der unbefangene Blick auf das, was ist
Am Besten wäre es natürlich, wenn Aufstellungsleiterinnen und Aufstellungsleiter an jede Aufstellung mit einer Art „Anfängergeist“ heran gehen könnten. Wenn sie also zu Beginn einer Aufstellung sich ausschließlich von den Informationen im „wissenden Feld“ leiten lassen würden und jegliche Erfahrungen aus anderen Aufstellungen in diesem Moment aus dem Gedächtnis tilgen könnten. Das würde also bedeuten, die Leitung einer Aufstellung würde man so angehen, als ob man gar nichts über diese Regeln wüsste und zum allerersten Mal mit einer Aufstellung zu tun hätte.
Dies ist natürlich tatsächlich in Reinform so nicht möglich. Wenn man einige Erfahrung mit der Leitung von Aufstellungen hat, kann man es nicht vermeiden, dass es gewisse Erfahrungswerte aus anderen Aufstellungen gibt, die mit dazu beitragen, mich als Leiter einer Aufstellung auf bestimmte Ideen zu bringen. Zum Beispiel Ideen, wer oder was zu einem bestimmten Thema aufzustellen ist oder auch Ideen bezüglich bestimmter Sätze, die man Stellvertretern vorschlagen kann.
Was man aber machen kann als Aufstellungsleiterin oder –leiter ist: Ich kann darauf achten, dass dies jetzt eine Idee ist, die aus einer vergangenen Erfahrung stammt und nicht unmittelbar aus dem Feld der gegenwärtigen Aufstellung. Und wenn ich dies merke, dann muss ich in der Leitung einer Aufstellung diese Idee für mich als Hypothese auffassen. Und diese Hypothese wäre dann im konkreten Einzelfall, in der gerade vorliegenden Aufstellung, zu prüfen. Man testet also etwa, ob die Hereinnahme z.B. einer bestimmten Person in die Aufstellung etwas bei den Stellvertretern auslöst oder nicht. Wenn es keine Reaktion der Stellvertreter gibt, dann nimmt man diese Person wieder heraus aus dem Feld, dann war es in diesem Fall eben nicht ein entscheidender Impuls in Richtung Lösung, auch wenn es in früheren Aufstellungen so gewesen sein mag.
Ich selber habe zum Beispiel in verschiedenen Aufstellungen erleben können, dass bei Protagonisten mit einem Zwillingsgeschwister der wirkliche Durchbruch für eine Lösung erst dann gelang, wenn der Zwillingbruder oder die Zwillingsschwester auch aufgestellt wurde, auch wenn das vordergründige Problem als Anlass der Aufstellung nur eines der Zwillingskinder betrifft. Hier scheint es eine besondere seelische Verbindung bei Zwillingen zu geben, die stärker ist als bei anderen Geschwistern.
Dies führte dann im Laufe der Zeit dazu, dass ich – wenn im Vorgespräch ein Zwillingsgeschwister erwähnt wurde – sofort dachte: „Dieses Zwillingsgeschwister müssen wir in jedem Fall auch aufstellen.“
Bis ich dann einmal eine Aufstellung hatte mit Mann, der noch eine Zwillingsschwester hatte. Diese Zwillingsschwester wurde dann auch aufgestellt, obwohl sie erst einmal nicht direkt mit dem Anliegen des Mannes zu tun hatte. Und in diesem Fall war es dann so, dass sich in der Aufstellung sehr schnell zeigte, dass die Zwillingsschwester keinen Unterschied machte für das Thema, die Stellvertreter reagierten durchweg nicht auf ihre Anwesenheit in der Aufstellung.
Hier war sie also: Die Ausnahme von der Regel, die bislang immer wirksam war. Ich habe dann die Zwillingsschwester wieder aus der Aufstellung genommen und zur Stellvertreterin gesagt, sie könnte sich wieder setzen. Es hat der Aufstellung nicht geschadet, die Zwillingsschwester zumindest versuchsweise erst einmal mit dazu genommen zu haben.
Allerdings hat es mich noch einmal daran erinnert, jegliche Erfahrungswerte aus anderen Aufstellung allenfalls als Vermutungen zu behandeln, die überprüft werden müssen.