Der November ist der Monat im Jahr, in dem viele traditionelle Feier- oder Gedenktage dem Gedenken der Toten gewidmet sind. Im letzten Jahr hatte ich im November-Beitrag ausführlicher dazu geschrieben.
Eine Beobachtung, die in der Aufstellungsarbeit immer wieder eine Rolle spielt, ist: Die Toten wirken oft in das Leben der Lebenden hinein. Diese Wirkungen können belastend und einschränkend sein, es kann aber auch eine besondere Kraft von dieser Wirkung ausgehen.
Besonders bewegend sind solche Wirkungen in Aufstellungen, wenn es um die Toten – die Opfer, aber auch die toten Täter!- in der Folge von Kriegen, Genoziden, Völkermorden, ethnischer Verfolgung oder politisch motivierten Massenmorden handelt. Hier haben die seelischen Bewegungen auch bei den Nachfahren eine ganz besondere Wucht.
Die Bewegungsform der Begegnung mit den Toten
In dem Beitrag zum November im letzten Jahr hatte ich beschrieben, warum die Begegnung mit den Toten in vielen Fällen heilsam ist und zu innerem und äußerem Frieden beitragen kann. In diesem Beitrag soll es, in gewisser Weise daran anknüpfend, um die Form der heilenden Bewegung gehen, wie sie häufig in Familienaufstellungen zu beobachten ist.
Die Hinwendung * Der Kontakt * Die Abwendung
In der Aufstellungsarbeit zeigt sich meist eine Art von Dreischritt in der Bewegung: Zunächst erfolgt eine Hinwendung zu den Toten. Die Hinwendung erfolgt oft vorsichtig, sozusagen „mit Zittern und Zagen“. Sie erfordert Mut und Überwindung. Wenn die Hinwendung zu den Toten gelingt, ergibt sich meist eine Phase, in welcher die Protagonisten (entweder als Stellvertreter oder in der eigenen Rolle) sich dem Leid und dem Sterben aussetzen. Manchmal sitzen sie bei den Toten, manchmal legen sie sich dazu, manchmal schauen sie einfach schweigend und ergriffen. Und nach einer gewissen Zeit erheben sich die Lebenden wieder, kehren den Toten den Rücken, und nehmen ihr eigenes Leben wieder in den Blick, aber gestärkt durch die Toten, die sich in ihrem Rücken befinden. Die erneute Zuwendung zum Leben hat dann eine andere Größe und ein anderes Gewicht.
Wie gesagt: Diese Bewegungsform findet sich häufig und sie stellt sich oft spontan ein, wenn die Protagonisten sich der Bewegung wirklich überlassen. (Und man möchte hinzufügen: Wenn sie nicht durch die Aufstellungsleitung in dieser Bewegung gestört werden.)
Die Bedeutung der Abwendung
Eine Zeit lang erschien mir bei Aufstellungen mit solchen Themen der erste Schritt, die Hinwendung zu den Toten, als der entscheidende Schritt zur Lösung. Inzwischen scheint mir der dritte Schritt fast wichtiger: In der Begegnung mit den Toten lösen wir uns, nach einer angemessen Zeit, wieder von Ihnen. Wir lassen sie ihn ihrer Sphäre, in die wir (noch) nicht gehören. Wir wenden uns unserer Sphäre, unserem Lebensvollzug zu. Wir lassen die Toten hinter uns, sowohl im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Meist entsteht dann sowohl Frieden bei den Toten wie auch Kraft bei den Lebenden.