Die Kosten des Lebens und die Kostbarkeit des Lebens

Es war einmal ein Mann im mittleren Alter in einer Familienaufstellung, bei dem der Vater ihn und seine Mutter verlassen (alleingelassen) hatte, als der Mann vier Jahre alt war. Seine Mutter hat ihn dann alleine groß gezogen, was für die Mutter sehr beschwerlich war und was der heranwachsende Junge auch deutlich wahrgenommen hatte.

Im Verlauf der Aufstellung stand er dann der Mutter gegenüber und es war eine große Liebe und Dankbarkeit der Mutter gegenüber zu spüren. Ich habe ihm dann einen Satz vorgeschlagen, den er zur Mutter sagen könnte: „Ich nehme jetzt mein Leben vollständig an – um den Preis, den es dich gekostet hat!“      
Da kamen ihm die Tränen, aber das Gesicht dazu war ein glückliches Gesicht. Und er sagte: „Das sehe ich jetzt zum ersten mal – ich bin ja wertvoll, mein Leben ist wertvoll. Gerade weil es schwer war für meine Mutter.“

Es ist ja mit vielen Dingen im Leben so, dass sie für uns kostbar und wertvoll sind, weil sie etwas gekostet haben. Und damit ist nicht immer nur Geld gemeint, es kann auch Anstrengungen, Mühen, Entbehrungen damit gemeint sein, dass es mich etwas gekostet hat. Und in so einem Fall ist natürlich am Besten, das, was mit Mühe gewonnen wurde, dann auch möglichst vollständig zu nutzen und zu genießen. So bekommt die Mühe einen Sinn.

Bei dem erwähnten Mann war es so, dass er als Kind einerseits die Mühe der Mutter gespürt hat. Aber auch ihn selber hatte der Prozess des Aufwachsens etwas gekostet, nämlich die Vaterentbehrung. Und Kinder neigen dann mitunter dazu, sich sehr zurück zu nehmen. Einerseits, um die Mühen der Mutter nicht noch zu vergrößern. Aber vielleicht spielt auch – obwohl dies jetzt reine Spekulation ist – manchmal mit hinein, dass man sich mit einem fehlenden Elternteil sowieso nicht so ganz vollständig fühlt.

Aber, und dies ging dem Mann plötzlich auf, man achtet die Mühe viel besser, wenn man zumindest als Erwachsener es sich möglichst gut gehen lässt, seine Gaben und Talente fruchtbar einsetzt und nicht versteckt. Dann haben sich die Beschwerlichkeiten im Ertrag gelohnt.

Mir scheint, man kann diesen Gedanken etwas verallgemeinern. Gerade wenn die Umstände schwierig waren, erwächst daraus auch der Impuls, die Mühen mögen sich gelohnt haben, dass Leben mit seinen besonderen Beschwerlichkeiten möge dann auch besondere Früchte tragen.

Ich weiß nicht, ob es immer so ist. Was ich aber meine beobachtet zu haben: Ein Leben mit schwierigen Startbedingungen verleiht den davon betroffenen Menschen oft ein besonderes „seelisches Gewicht“. Ein Gewicht, welches in einer existenziellen Tiefe gründet und welches man bei Menschen, die es immer leicht hatten im Leben, selten so findet.

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