Der zweite Archetyp: Die Sinnliche

Vorbemerkung: Dieser Text ist Teil einer 12-teiligen Serie über bestimmte Gestalten am Urgrund einer jeden menschlichen Seele, die wir in der Psychologie mit der Bezeichnung „Archetyp“ belegen. In jedem der 12 Teile wird jeweils einer der 12 wesentlichen Archetypen vorgestellt. Diese Gestalten gibt es bei jedem Menschen als innere Personen. Allerdings spielt nicht jede einzelne Gestalt in jedem Leben eine bedeutende Rolle. In Schauspiel meines Lebens gibt es natürlich Hauptrollen, aber eben auch Nebenrollen und Komparsen. Manche dieser kollektiven Urgestalten in mir kenne ich bis zu einem gewissen Grade. Andere sind mir völlig unbekannt und wenn sie dann doch einmal kurz in einer Szene auftauchen, bin ich überrascht.   

Manchmal erweist es sich in Familienaufstellungen als sinnvoll oder sogar notwendig, einen der Archetypen über Stellvertreter aufzustellen. Entweder, weil das Thema eng mit diesem Archetypus verbunden ist oder weil bei der Person, um die es geht, dieser Archetypus erkennbar dominant im Vordergrund steht. 
Die Beschreibungen des jeweiligen Archetyps sollen dich, liebe Leserin / lieber Leser, anregen, diese Gestalt in dir zu entdecken und vielleicht auch, mit ihr Kontakt aufzunehmen und in einen Austausch zu treten.

Einen Artikel darüber, was Archetypen allgemein sind und wie sie in unserer Seele wirken, findest du hier. Das dort gesagte gilt übergreifend für
alle Archetypen.

Widmung:

Diese Artikelserie ist meinem großen Lehrer Peter Orban gewidmet, der im Oktober des vergangenen Jahres verstorben ist. Lieber Peter, alles was ich über Archetypen meine verstanden zu haben, habe ich von dir. Wenn ich jetzt mein Verständnis der Archetypen beschreibe, möge dies ein Indiz dafür sein, dass deine Saat aufgegangen ist. Ein wenig lebst du weiter in denen, die von dir lernen durften.

Während der erste Archetyp, der Krieger, in seiner Natur etwas zutiefst männliches verkörpert ist der zweite Archetypus ebenso zutiefst weiblich in seinem Wesen. Wie immer bedeutet dies überhaupt nicht, mit diesem Archetyp kämest du nur in Berührung, wenn du eine Frau bist. (Ebenso wenig, wie der Archetyp des Kriegers einen nur etwas anginge, wenn man ein Mann sei.) Es kann allerdings sein, dass du, wenn du ein Mann bist, es schwieriger findest, diesen Archetyp in dir zu entdecken oder dich mit ihm anzufreunden.

Wie kann man sich dieser Wesenheit nähern, wie kann man sie in sich kennen lernen? Ein Zugangsweg geht über die Bilder. Lass vielleicht erst einmal das Titelbild dieses Beitrages und dann die unten stehende Bebilderung dieses Prinzips als Person, also das Bild "Die Geliebte" auf dich wirken. Das Unbewusste, die Seele, erfasst über die Bilder sofort und unmittelbar, worum es hier geht. Wenn wir es in Sprache ausdrücken wollen, ist der Prozess etwas langwieriger – und leider auch stärker mit der Gefahr von Missverständnissen verbunden. Wie gesagt: Schau erst einmal auf die Bilder.
Was sehen wir im Titelbild? Wir sehen die in der Mitte die süßen Früchte und ihren Genuss. Wir sehen im oberen Teil die Farbenpracht von Blüten und Landschaften, eben die blühenden Landschaften. Eine oft gewählte Verheißung. Im unteren Teil links sehen wir die Insignien des Reichtums: Gold, Geschmeide, eine Krone und einen güldenen Pokal. Diese Schätze werden durch einen Drachen bewacht. Wir sehen ebenso im unteren Teil links und rechts die Schätze der Erde, was aus den Wurzeln erwächst und geerntet, aber auch gehortet werden kann. Die Getreidesäcke, die Amphoren, vermutlich gefüllt mit Wein. Aber auch die mit Geld gefüllten Säcke, aus deren Mitte die Gebäude, die Technik, die Industrie einer städtischen Zivilisation entspringt. Kurz: Wie sehen die Verbindung von materiellem Reichtum und sinnlichem Genuss.
Was sehen wir auf der personifizierten Symbolon-Karte für dieses Prinzip? Wir sehen eine junge, eine attraktive Frau. Auch sie ist umgeben von den Insignien des sinnlichen Genusses, auch hier wieder die Früchte und der Wein, zu ihren Füßen das wohltemperierte Bad. Auch hier ist die Landschaft voller Blüten, Früchten und Farben, eine frühlingshafte Anmutung. Die junge Frau ist elegant gekleidet, geschmackvoll geschmückt und frisiert. Sie betrachtet sich in einem Spiegel, wohlgefällig. Eine Brust ist entblößt, eine starke erotische Konnotation durchzieht die Abbildung.

Soweit die Bilder. Auch bei diesem Archetyp werden wir uns als erstes damit befassen, wie wir uns die hier wirkenden Kräfte vorstellen können, wenn wir sie uns als Person vorstellen. Was ist dies für eine Person? Was treibt sie um? Aber auch die Personifizierung ist natürlich nur ein Bild, eine Vorstellung, etwas was wir vor unser geistiges Auge hinstellen, um es besser fassen zu können. Die Person verkörpert Prinzipien und Urkräfte. Dies ist die nächste Beschreibungsebene: Welche Aspekte des Lebens bringt dieser Archetyp zum Ausdruck und zur Geltung? Die Anregung für dich, liebe Leserin und lieber Leser, ist dabei: Womit gehe ich in Resonanz? Wie erlebe ich diese Prinzipien in meiner Innenwelt?

Auch dieser Archetyp hat eine jahreszeitliche Entsprechung, den Hochfrühling. Auch darüber wird zu sprechen sein. Ein weiterer – und für diesen Beitrag letzter – Zugang zu dieser inneren Person und den damit verbundenen Bestrebungen ist die Entwicklungsperspektive. Wie dient diese seelische Figur am Grunde meiner Seele dem Leben? Was bedeutet es, wenn ihre Bestrebungen gehemmt werden? Welche Kompensationsstrategien ergeben sich aus der Hemmung? Was bedeutet eine gesunde Entwicklung der Eigenschaften, die mit dieser seelischen Ur-Gestalt verbunden sind?

Der Archetyp „Die Sinnliche“ als Personifizierung

Die Bilder machen es sehr deutlich: Wir haben es hier mit einer Person zu tun, die durch und durch sinnlich, man könnte auch sagen genussfreudig ist. Es geht um die sinnlichen Eindrücke und den Genuss der Dinge in der materiellen Welt. Aber natürlich geht es nicht um beliebige Dinge, die Dinge müssen schön sein, sie müssen Wert haben. Die Dinge, mit denen ich mich umgebe, die ich besitzen muss, sollen über ihren Wert meinen Wert zum Ausdruck bringen. Die Dinge sagen: Ich bin wertvoll! Mein Selbst hat einen Wert, und zwar einen hohen. Etwas überspitzt: Ich bin ein Luxusgeschöpf! Ich bin attraktiv, ich bin es wert, begehrt zu werden. (Aber: Dessen muss ich mich immer wieder versichern, der Blick in den Spiegel ist notwendig.)
Hier wird etwas nicht ausgesprochen, aber angedeutet, dass wir ganz wertfrei betrachten müssen, sonst erfassen wir nicht, worum es hier geht. Wenn die Person sagt oder besser andeutet, ich bin wertvoll, ich bin ein Luxusgeschöpf, dann sagt sie auch: Mich muss man sich leisten können. Ja, ich stelle all die Freuden der Materie und all das Wertvolle zur Schau, um damit die dazu passenden Personen anzuziehen, in mein Leben zu ziehen. Ich habe all diese Dinge, ich habe einen erlesenen Geschmack – und wer mich haben will, sollte gut betucht sein. Sonst passt er nicht zu mir, nicht zu meinen Werten. (Noch einmal: Wir müssen das ohne Bewertung, vor allem ohne Abwertung betrachten.)
Mit der Attraktivität haben wir auch das Thema Erotik an Bord. Diese innere Gestalt sorgt nicht nur für – oder: sorgt sich nicht nur um – die Attraktivität im Allgemeinen, dass ich irgendwie gefalle, nein, es geht natürlich auch und nicht zu knapp um die sexuelle Attraktivität. Im Zeitalter der Dating-Apps und Dating-Plattformen gibt es ja auch die Redeweise vom sexuellen Marktwert(!), im Englischen "sexual market value", der sich in "matches", "likes" und Aufrufzahlen durchaus messen lässt. Diese innere Gestalt ist also nicht nur irgendwie sinnlich, sie ist auch zutiefst erotisch-sinnlich, der Bereich der Erotik wird von dieser Gestalt verwaltet, er gehört zu ihrem "Geschäftsgebiet". Aber auch hier: Dies wird angedeutet, durchaus deutlich angedeutet, aber natürlich nicht ausgesprochen. Wie ja überhaupt die Erotik die Andeutung ist, und nicht das Explizite. (Das Explizite wäre hier z. B. die Pornografie, und das ist ein ganz anderer Bereich als die Erotik.)

Die Personifizierung als "Die Sinnliche"

Die Personifizierung auf der Symbolon-Karte trägt den Titel "Die Geliebte". Ich habe ihr als Rollenbezeichnung im Theaterstück des Lebens die Bezeichnung "Die Sinnliche" gegeben. Aber das sind nur feine Unterschiede in der Akzentsetzung. Eine noch treffendere, allerdings veraltete und daher nicht sofort verständliche Bezeichnung wäre vielleicht "Die Kurtisane" oder noch älter "Die Hetäre".


Karte "Die Geliebte" gezeichnet von Thea Weller
Aus: Peter Orban, Ingrid Zinnel, Thea Weller: Symbolon. Das Spiel der Erinnerungen. [Kartenset und Erläuterungsbuch]. Kailash-Verlag 20063

Es geht hier also um die materiellen Güter und die Sinnlichkeit, den sinnlichen Genuss. Aber was leistet dieser Archetyp für das Leben? Er sichert.

Vergleichen wir dieses Grundmuster mit dem erstem Archetyp, dem Eroberer des Neulandes, dem Pionier, so können wir hier die notwendige Ergänzung sehen. Das gewonnene Neuland muss gesichert werden, es muss Besitz werden. Dazu muss ich Grenzen setzen, Zäune ziehen.
Erst wenn ich im neu gewonnenen Land mich verwurzeln kann, kann ich sagen: "Dies ist jetzt meins" oder auch "Dies ist jetzt meine Heimat". Der Archetyp sorgt also für die Konsolidierung des Neuen, er sichert den Bestand. Der erste Archetyp kann das nicht. Der muss nach jeder gewonnen Schlacht immer neu aufbrechen, den nächsten Horizont erkunden. Er kann nicht sesshaft werden. Dieser Archetyp kann das.

Erst durch diesen Archetyp können die Früchte des Erreichten gewonnen werden. Wir sind hier im Element Erde, hier werden wir bodenständig, hier wird das Erreichte und Gewonnene konserviert. Hier finden dann auch die Grenzsetzungen statt, die Unterscheidung zwischen Dein und Mein. Durch die offene Landschaft darf jeder latschen, mit der Markierung als "mein Besitz" kann ich bestimmen, wer in meinem Bereich Einlass erhält und wer nicht.

Natürlich erhält nur Zugang, wer zu mir passt, zu meinen Werten und meinem Lebensstil. Wenn der Krieger sagt "ich erobere" sagt diese Gestalt hier "ich besitze". My home is my castle heißt es im englischen. Erst mit der Abgrenzung und der Besitzsicherung ist der Genuss in Ruhe möglich.

Das Materielle dient also (auch) der Sicherung. Die Bevorratung mit materiellen Dingen verleiht mir die Stabilität gegen die Wechselfälle des Lebens. Und ja, auch das Hamstern und das Horten fällt in diese Domäne. Diese innere Gestalt hält gerne fest am einmal Erworbenen, sie trennt sich nicht so leicht von den Dingen. Auch hier erleben wir die Ergänzung zum ersten Archetyp. Der Eroberer und Abenteurer muss mit leichtem Gepäck reisen, er darf sich nicht zu sehr an die Dinge binden. Die Sinnliche als Archetyp hängt dagegen durchaus gerne ihr Herz an die Dinge, dass macht sie beständig aber natürlich auch weniger beweglich. Hier wird die Arbeit am Sesshaft-Werden geleistet, hier entstehen die Zivilisation, die Kultur und das Dauerhafte. Wie erwähnt entsteht auch hier der Besitz, etwas was hinterlassen und vererbt werden kann, was es in einer nomadischen Lebensweise nicht gibt und auch nur hinderlich wäre. Und noch etwas ist damit verbunden: Die Bequemlichkeit und auch die etablierten Gewohnheiten und Routinen.

Kommen wir noch einmal auf die Person – oder besser: die Personifikation des hier gemeinten Prinzips – zurück. Die Symbolon-Karte ist ja betitelt mit "Die Geliebte". Wir könnten aber auch sagen, dass es hier um "Das Geliebte" geht. Es geht um den Besitz und den Wohlstand, an dem ich hänge. Was ich als "meins" bezeichne, damit identifiziere ich mich auch. In gewisser Weise ist diese Person auch ihr Besitz. Es gab einmal eine Werbung für Geldanlagen, wo ein Mann einen anderen Mann beeindrucken will, in dem er Fotos auf dem Tisch aufblättert: "MEIN Auto, MEIN Boot, MEIN Haus, MEIN Pferd, MEIN ….(was auch immer)". Ja, das ist Besitzerstolz. Und es ist gleichzeitig auch kalkuliertes Eindrucks-Management. Der andere soll sehen: Dies alles habe ich. Dies alles habe ich erreicht. Dies sind die Früchte meiner Arbeit. (Oder eben meiner schlauen Anlagestrategie, wie die Werbung verheißt.) Auch die Redeweise im Volksmund "haste was, biste was" verweist auf diesen Zusammenhang. Ich bin, was ich habe. Deswegen ist das Haben wichtig. Nur wenn ich habe, und zwar viel habe, gelte ich etwas. Womit wir wieder beim Wert sind, beim Selbstwert, der hier zur Geltung kommt oder zumindest kommen soll.

Ja, natürlich ist dies auch ein Käfig, in dem man festsitzen kann, aber es ist eben ein goldener Käfig, ein schön anzuschauender Käfig, ein Käfig, in dem man es sich behaglich einrichten kann. So behaglich, dass man fast vergessen kann, in einem Käfig zu sitzen. In spirituellen Kreisen hat diese innere Person keinen guten Leumund – und doch kommt niemand ohne sie aus.

Die mit dem Archetyp verbundenen Wesenszüge und Energien

Wenden wir uns zusammenfassend noch einmal ein wenig ab von der Vorstellung einer Person und wenden wir uns stattdessen den Prinzipien und Energien zu, welche diese Person verkörpert.

Der Besitz

Es geht hier um den Besitz und um das Materielle, im günstigen Fall in Form von Wohlstand oder gar Reichtum. Aber: Hier ist nicht der abstrakte Reichtum gemeint in Form von Zahlen auf einem Konto. Nein, hier muss der Reichtum sich in konkreten Dingen ausdrücken, mit denen ich mich umgebe und die vor allem für andere sichtbar sind. Und die Art der Dinge ist hier wesentlich. Wenn ich mir Gemälde an die Wände meiner Wohnung hänge, ist es entscheidend, ob es sich um Heiligenbilder aus der Renaissance, französische Impressionisten oder abstrakte Kunst handelt.
Es reicht nicht, dass es wertvoll im Sinne von teuer ist. Es muss auch zu meinen Werten, meinem (Lebens)Stil, passen es muss mich ausdrücken. (Oder zumindest meine Vorlieben oder auch meine Bildung.)

Das Eigene / Der Selbstwert

Die Dinge, mit denen ich mich umgebe, meine Kleidung, meine Wohnungseinrichtung, mein Fahrzeug usw. müssen etwas über mich aussagen. Sie müssen ausstrahlen, was meine Individualität und Unverwechselbarkeit ausmacht. Die Dinge müssen davon sprechen, worauf ich Wert lege und was mir Wert (Selbstwert!) verleiht. Ich muss mich in meinen Dingen spiegeln können.

Die Attraktivität

Wenn die Dinge ausstrahlen, worin mein Wert besteht, machen sie mich attraktiv. Sie ziehen diejenigen Menschen in mein Leben, die mit meinen Werten kompatibel sind und halten die inkompatiblen Menschen auf Distanz. Die sexuelle Attraktivität ist ein Teil dieses Spiels – und dies gilt beileibe nicht nur für die Frauen.

Das Grenzen setzen

Der Besitz, die In-Besitz-Nahme der Materie bedeutet auch das scharfe setzten von Grenzen. Hier wird unterschieden, was ist meins und was ist deins. Hier wird auch die Grenze gesetzt, wer darf in diesem Raum "Bestimmer" sein.

Das Bewahren

In diesem Archetyp finden wir das Prinzip der Beständigkeit. Besitz hat nur Wert, wenn er von Dauer ist. Wir finden hier ein zutiefst konservatives Motiv. Dieses Prinzip (und damit die Teilperson in mir) arbeitet gegen den Verfall, so gut es nur geht. Von der Arbeit gegen den Verfall der körperlichen Attraktivität leben ganze Industrien, nicht nur die Kosmetikindustrie.

Das Weibliche

Das Weibliche in der Form der Sinnlichkeit ist ein aufnehmendes Prinzip, ist Yin, nicht Yang. Die Dinge in der materiellen Welt wirken über die Sinne auf mich ein, in diesem Prinzip nehme ich mit allen Sinnen auf. Ich setze mich den sinnlichen Einwirkungen mit der größtmöglichen Fläche aus. Hier gilt: Mehr ist mehr! Hier geht es um die Fülle. Am Rande sei vermerkt: Das aufnehmende Prinzip im Übermaß macht aus der Fülle die Völlerei. Die Betonung liegt jedenfalls auf dem Nehmen, nicht dem Geben, sie liegt auch mehr auf dem Eindruck als auf dem Ausdruck.

Der Jahreszeitliche Bezug dieses Archetyps

Auch bei diesem Archetyp finden wir eine Entsprechung zu einem bestimmten Punkt im Zyklus der Jahreszeiten. Es geht hier um den Hochfrühling, um die Zeit von etwa dem 20. April bis etwa dem 20. Mai. Der vorangegange Zeitraum markierte den Beginn des neuen Lebens, den ersten noch vereinzelten Durchbruch des frischen Grüns. Hier treten wir jetzt ein in die Fülle des neuen Lebens. Es blüht überall, nach und nach kleidet sich jeder Ast und jeder Strauch in ein neues Blättergewand. Die Fülle der Farben, Formen und Gerüche bietet dem Sehen, Riechen, Fühlen und Schmecken ein reiches Angebot. Und nicht zuletzt verheißt die Fülle der Blüten die Reichhaltigkeit der späteren Ernte.

Astrologische Entsprechung:

In der Astrologie entspricht dieser Archetypus dem 2. Haus, dem Tierkreiszeichen Stier und dem Planeten Venus.

Der Entwicklungspfad dieses Archetyps

Es ist leicht, sich über diesen Archetyp und seine konkrete Ausprägungsformen zu erheben, sie zu verachten. Man könnte zum Beispiel den Vorwurf der Eitelkeit gegen diese innere Person in Anschlag bringen, wo immer sie sich zeigt. Und doch haben wir gesehen, wir brauchen diese innere Person. Ohne sie gibt es keinen Beständigkeit und ohne sie gilt für jede Eroberung: Wie gewonnen, so zerronnen.

Wir benötigen die Fähigkeit zur Abgrenzung, zur Unterscheidung zwischen Ich und Du, zwischen meins und deins. Und diese Grenzziehung wird von dieser inneren Person verwaltet. Wir brauchen als inkarnierte (verkörperte) Seelenwesen diese innere Person, um im eigenen Körper mit allen seinen Vorzügen und Mängeln wirklich uns heimisch einzuwohnen. Und wir benötigen auch in einem gewissen Maße den Besitz, die Sicherheit (die durchaus körperliche Sicherheit), um in der Welt der Materie heimisch werden zu können, uns eine Heimstatt schaffen zu können. Und wir müssen den angeeigneten Besitz auch bewahren können. Es bedarf im Leben auch der Entwicklung einer Genussfähigkeit, der Entwicklung von Lebensfreude, ohne die alles schal wird.
Und nicht zuletzt dient diese innere Person dem Leben, dem Fortbestand des Lebens, der ohne Sexualität nicht denkbar ist. Zwar gehört die Sexualität selber nicht zum Zuständigkeitsbereich dieses Archetypen, dafür sind andere Urgestalten zuständig, die wir noch kennen lernen werden. Aber diese innere Person verwaltet den Bereich der Erotik, der Attraktivität und der Anziehung als notwendige Hinführung zur Sexualität.

Die Hemmung der Impulse dieses Archetyps

Die Hemmung der Energien dieses Archetyps führen zu Abgrenzungsschwierigkeiten und damit zu einem schwachen Ich-Gefühl, zu einer mangelhaften Ausformung der eigenen Identität und des Selbstwertes. Auch können wir dann kein gutes Verhältnis zum materiellen Besitz und zur Sicherung der Lebensgrundlagen entwickeln, es droht Armut und Besitzlosigkeit. Wir können dann nicht mit unseren gegebenen Talenten wuchern, wozu uns ein Gleichnis im neuen Testament durchaus auffordert. Und eine wenig entwickelte Genussfähigkeit geht nicht nur zu Lasten der Lebensfreude, wer nicht genießen kann, wird auch für andere oft ungenießbar.

Die Kompensation der defizitären Hemmung

Nicht selten werden die Einschränkungen durch die gehemmten Impulse dieses Archetyps in ungesunder Weise kompensiert. Hier finden wir eine übersteigerte Form des Luxus oder die Verschwendung. Auch bestimmte Formen des Reichtums wären hier zu nennen, die man als exzessiven oder obszönen Reichtum bezeichnen könnte. Gemeint ist die Form des Reichtums, bei der es nicht um die damit möglichen sinnlichen Genüsse geht, sondern um den Reichtum um des Reichtums willen. Wenn es nur darum geht, reicher zu sein als jemand anderes, höher platziert zu sein in der entsprechenden Forbes-Liste als alle anderen, dann haben wir es mit der ungesunden Kompensation zu tun. Auch die Völlerei erwähnten wir bereits, diese Fehlentwicklung der Genussfähigkeit tötet den wirklichen Genuss mehr, also unsere Sinne und damit die Sinnesfreuden zu verfeinern und zu intensivieren.

Die gesunde Entwicklung der archetypischen Energien

Die gesunde und entwicklungsfördernde Entfaltung dieses Archetyps zeigt sich in einer natürlichen Ich-Stärke und in einem klaren Selbstbewusstsein. Sich seiner selbst bewusst zu sein bedeutet, ich weiß was meine unverwechselbare Individualität ausmacht. Ich weiß dann, was zu mir passt und was nicht zu mir passt. Mit diesem gefestigten Ich muss ich mich weder selber überhöhen noch anderen Menschen abwerten noch fremden Maßstäben hinterherhecheln.

Wenn ich wirklich weiß, wer ich bin und welche Werte wirklich meine eigenen sind, dann bin ich auch nicht mehr steuerbar durch fremde Vorstellungsbilder, durch Ideale wie ich sein müsste, um attraktiv zu und etwas zu gelten.

Aber wer kann das schon von sich sagen …