In diesem Blog geht es häufiger um die sogenannten „ursprüngliche Liebe“. Um dieses Phänomen der ursprünglichen Liebe zu verstehen, ist es notwendig, sich beim Wort Liebe eine wenig zu befreien aus unseren Idealvorstellungen der romantischen Liebe, wie sie insbesondere in der Paarbeziehung aufscheint. Die ursprüngliche Liebe meint eine noch viel solidere Form der Bindung, es geht buchstäblich um die Existenz.
Die ursprüngliche Liebe meint in erster Linie die Verbundenheit der Eltern und der Kinder. Diese Bindung ist existenziell, weil das Kind nur über die Eltern ins Leben kommt, also existiert. Dieses Band bleibt bestehen, egal was an späteren Gefühlsaufladungen überlagernd dazu kommt. Diese Sichtweise bedeutet auch, dass diese ursprüngliche Liebe immer da ist, auch wenn es eher so scheint, als sei die Beziehung durch Wut, Ablehnung, Kränkung oder Kritik geprägt. Letzteres sind aber eher sekundäre Reaktionen darauf, dass die ursprüngliche Liebe nicht frei fließen kann oder konnte.
Es gibt aber noch eine andere Form dieser ursprünglichen Liebe, die (fast) so stark sein kann wie die Verbindung zwischen Eltern und Kindern und die manchmal auch das ein wenig ersetzen kann, was vielleicht in der Beziehung zu den Eltern schmerzlich vermisst wird: Die Liebe zwischen Geschwistern.
Die negative Seite der Geschwisterliebe
Ich erinnere mich an eine Aufstellung, in der die Mutter der Fokusperson (der Person mit dem Anliegen für die Aufstellung) ganz kalt und erstarrt war. Sie war nicht seelisch zu erreichen, weder von ihren Kindern noch von ihrem Mann noch von ihrer Mutter, sie war innerlich abwesend. Auf die Frage „Ist etwas schicksalhaftes bei deiner Mutter passiert?“ gab es die Information, diese habe als Kind von vier Jahren ihren einen Jahr jüngeren Bruder bei einem Unfall verloren. Es wurde deutlich, dass diese Mutter mit ihrem toten Bruder inniglich verbunden blieb. Sie folgte ihm sozusagen innerlich nach in den Tod, obwohl sie äußerlich lebte, heiratete, Kinder bekam usw.
Diese Liebe, hier zwischen Schwester und Bruder, hatte genau die Qualität und Intensität, die wir im Rahmen der Aufstellungsarbeit als die ursprüngliche Liebe bezeichnen. Allerdings wirkte sich diese – schicksalshafte – lebenslange Bindung an den Bruder negativ aus, weil sie den Fluss der ursprüngliche Liebe zu den eigenen Kindern behinderte.
Die positive Seite der Geschwisterliebe
Auf der anderen Seite kann einen solche tiefe Geschwisterliebe sich auch hilfreich und fördernd auswirken und Prozesse ermöglichen, die einzeln vielleicht so nicht möglich sind.
So ist es in Aufstellungen oft ein kritischer, aber mitunter auch sehr schwieriger Punkt, dass die Kinder auf die Eltern zugehen, auf sie zugehen können. Manchmal scheitert diese Hinbewegung erst einmal oder gerät ins Stocken. Und hier zeigt sich in Aufstellung mitunter, dass diese Hinbewegung zusammen mit einem oder auch mit mehreren Geschwistern, die sich an der Hand nehmen und dann gemeinsam auf die Eltern zugehen, möglich ist. Dies erweist sich als unmittelbar segensreich und gleichzeitig sind die Kinder nicht vereinzelt, sondern aufgehoben und verbunden in ihrer Geschwisterreihe.
Bei solchen Szenen in einer Aufstellung kommt mir häufig das Märchen von Hänsel und Gretel in den Sinn, den beiden verlorenen und ausgesetzten Kindern, die aber immerhin noch einander haben und dadurch sowohl die Gefahren des Märchens meistern wie auch das Schicksal wenden können, so erzählt es zumindest das Märchen.
Mitunter sieht es in einer Aufstellung so aus, als ob eine solch innige Geschwisterbeziehung einen Mangel an Beziehung und emotionaler Wärme zu den Eltern lindern oder gar heilen könne. Solche Geschwister wirken dann emotional genährt und satt, auch wenn die Eltern aufgrund eigener seelischer Belastungen nur sehr eingeschränkt zur Verfügung stehen.
Oft findet man dieses Phänomen der Geschwisterliebe auch besonders intensiv bei Menschen, die Zwillingsgeschwister haben. Hier kann man oft beobachten in einer Aufstellung, dass ein Protagonist sich aufrichtet, in die volle Kraft und Größe kommt und einen unbefangenen Blick erhält wenn der andere Zwilling neben ihr oder ihm steht.